SWR4 Abendgedanken

SWR4 Abendgedanken

In den letzten Jahren gibt es einen immer größeren Verschleiß von Politikern, scheint mir. Eben sind sie noch als Lichtgestalten angehimmelt worden. Und dann stürzen sie jäh. Sie fallen über ihre eigenen Ansprüche an sich selbst und an andere.
Ich finde es schlimm, wenn zu viel von Politikern erwartet wird. Und wenn Politiker das nicht merken und darauf hereinfallen. Wenn sie sich selbst unter Druck setzen und meinen, vor der Öffentlichkeit perfekt dastehen zu müssen. Wenn sie ihre Schatten nicht wahrhaben wollen. Ich finde es auch schlimm, wenn der öffentliche Druck gnadenlos wird und es keinen Raum gibt, dass ein Politiker offen zu seinen Fehlern und Schwächen stehen kann.
Wir brauchen eine Kultur des Vergebens. Jeder, der versagt, muss eine Chance auf Vergebung erhalten. Wenn einer schuldig geworden ist, dann ist es nicht das wichtigste, dass er bei seiner Schuld behaftet wird. Das wichtigste ist, dass ihm andere beistehen und er eine zweite Chance erhält.
Selbstverständlich darf schuldhaftes Handeln nicht zugedeckt werden. Schuld muss benannt werden. Aber das ist nicht das Letzte. Wer schuldig geworden ist, soll zwar zu seiner Schuld stehen. Aber er soll nicht ausgegrenzt und allein gelassen werden.

Denn niemand kann sich selbst entschuldigen. Viele sagen zwar, wenn sie ihr Versagen einsehen: „Ich entschuldige mich." Aber das geht nicht. Ich kann mich nicht selbst entschuldigen. Entschuldigen kann mich nur der, an dem ich schuldig geworden bin. Ich kann nur sagen: „Ich bitte dich, mich zu entschuldigen."
Im Vaterunser heißt die fünfte Bitte: „Vergib uns unsere Schuld, wie wir vergeben unseren Schuldigern." Daraus kann man lernen, wie das ist mit dem Vergeben. Ich weiß, dass ich selbst Vergebung für meine Schuld nötig habe. Und ich bin bereit, dem zu vergeben, der an mir schuldig wurde. Beides ist nicht leicht. Für beides muss man sich Mühe geben. Schuld zugeben und Schuld verzeihen. Und weil mich das leicht überfordert, hat Jesus uns im Vaterunser angeleitet, dass wir das Gott sagen und ihn um die Kraft zu bitten, die wir dazu brauchen.
Ich finde, wir Christen können etwas beisteuern zu einer Kultur des Vergebens in unserer Gesellschaft. Wir können zur Besonnenheit mahnen und vor Selbstgerechtigkeit warnen. Wir bitten andere um Entschuldigung, wenn wir ihnen Unrecht getan haben. Wir nehmen die Bitte um Vergebung von anderen an.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=12319
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