SWR2 Wort zum Tag

SWR2 Wort zum Tag

Ich bin doch nicht neidisch. Wenn jemand diesen Satz sagt, klingt er meist ziemlich empört. Als neidisch mag sich niemand outen - und dies nicht nur, weil Neid klassisch zu den 7 Hauptsünden gehört, in einer Reihe mit Hochmut, Geiz, Völlerei, Wollust, Zorn und Faulheit. Neidisch sein ist peinlich, wer zeigt schon gern, dass er sich unterlegen fühlt oder zumindest bedürftig? Da bin ich doch lieber strahlend oder cool. Dabei ist Neid ein sehr starkes und ein elementares Gefühl. In der Antike wird er sogar als Göttin dargestellt. Deshalb lohnt es sich, ihn nicht zu verleugnen und ihn nicht verschämt in die Ecke zu stellen, sondern hinzuschauen und ihn zu zivilisieren. Einen Menschen beneiden kann ja verschiedene Spielarten haben: Ich will das auch haben, was der andere hat. Oder: Ich will nicht, dass der andere etwas hat, was ich nicht habe. Oder, etwas verborgener: Das macht mir gar nichts aus, soll der andere doch was Besseres haben oder sein als ich. Ist mir doch egal. Zu den Wurzeln des Neids gehört das Vergleichen. Ich vergleiche mich unwillkürlich mit andern: Wer bist du, wer bin ich? Wo sind wir gleich, wo sind wir unterschiedlich? Wer von uns macht Karriere? Neid entsteht, wenn ich das Ergebnis bewerte: der andere ist das Glückskind, ich stehe immer auf der Schattenseite. Wenn ich das gleiche Elternhaus gehabt hätte, wenn ich so gesund wäre...Ganz vieles im Leben ist ja tatsächlich nicht nur unterschiedlich, sondern auch ungerecht! Irgendwann stößt mich der Neid auf die Frage, wie ich zum eigenen Leben stehe. Ob ich mir auch Unzufriedenheit und Bedürfnisse eingestehe und zugestehe. Ob ich mich anspornen lasse durch die Sehnsucht, die ja auch im Neid liegt, ob ich also das fördere, was ich im Neid an unerfüllten Wünschen entdecke. Was mache ich mit der Energie, die mir da begegnet: wie kann ich sie nutzen? Neid muß nicht zerstören. Er birgt auch die Chance, meinen Wünschen ans Leben treu zu bleiben. Ich kann im Beneiden bleiben oder fragen, was sagt mir das jetzt über mich selbst? Manchmal verstellt der Neid den Blick auf die Schätze im eigenen Leben. Ich sehe nur das Glück der andern - oft ist es auch nur das vermeintliche Glück - und was ich selber habe und bin, tritt in den Hintergrund. Dabei könnte ich manchen Grund entdecken, nicht nur neidisch, sondern auch dankbar zu sein.

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