SWR3 Gedanken

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Mein Mann hat Geheimnisse vor mir. Da bin ich mir ziemlich sicher. Und zwar nicht deshalb, weil er rot wird, wenn sein Telefon klingelt. Solche Geheimnisse meine ich gar nicht. Ich meine die Geheimnisse, die jeder hat. Diese Seiten, die keiner kennt und keiner kennen soll. All das, was einen Menschen grundsätzlich geheimnisvoll macht.

Ich lege keinen großen Wert darauf, die Geheimnisse meines Mannes zu lüften. Natürlich gibt es immer wieder Momente, wo ich gerne mehr über ihn wüsste, als er mir sagen oder zeigen will. Aber zähneknirschend respektiere ich dann eben sein Geheimnis. Weil ich der festen Überzeugung bin, dass Menschen ein Recht auf Geheimnisse haben.
Gott hat auch Geheimnisse. Oder noch genauer gesagt: Gott ist ein Geheimnis. Klar gibt es Dinge, die man wissen kann. Weil er sie uns wissen lässt. Dass er mehr drauf hat als ich mir vorstellen kann, dass er sich wirklich und ernsthaft für uns interessiert, obwohl er seine Zeit auch mit Harfespielen zubringen könnte. Dinge dieser Art kann man über Gott wissen oder sich denken oder glauben. Aber das war's dann auch.
Alles andere bleibt ein Geheimnis. Gott bleibt ein Geheimnis. Das merke ich jedes Mal, wenn ich sein Geheimnis lüften will. Wenn ich gerne wüsste, warum er dies tut und jenes lässt, ob er hört, was ich ihm sage, oder hört, was ich ihm nicht sagen will. Wenn ich gerne wüsste, wie das genau ist mit dem Leben nach dem Tod, oder warum meine Kinder in die Pubertät kommen müssen.
Fragen über Fragen. Rätsel über Rätsel. Aber wenn ich bei meinem Mann respektiere, dass er manchmal ein Buch mit sieben Siegeln ist, dann hat Gott auch ein Recht auf sein Geheimnis. Und ich muss wohl damit leben, dass ich nur das weiß, was er mich wissen lässt.
Und damit kann ich leben, weil es mit Gott ist wie mit meinem Mann. Ich weiß, dass er mich liebt und dass ich ihm vertrauen kann. Und dass auch seine verborgenen Seiten nichts daran ändern.

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