SWR2 Wort zum Tag

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Vor kurzem konnte ich im indischen Goa an einem Symposion zum interreligiösen Dialog teilnehmen. Etwa 50 Gäste aus aller Welt waren gekommen um den 75. Geburtstag des indischen Jesuitenpaters Francis D'Sa zu begehen. D'Sa ist ein Pionier des Gesprächs zwischen den Religionen. Schon aus früheren Begegnungen ist in mir ein Wort von ihm lebendig geblieben: „Wir müssen den anderen so zu verstehen lernen, wie dieser sich selbst versteht. Damit er lernt, mich zu verstehen, wie ich mich selbst verstehe." Wie einfach und wie anspruchsvoll zugleich ist dieser Satz - grundlegend für Versöhnung und Frieden. Und wo sollte Friede beginnen, wenn nicht beim Frieden zwischen den Religionen? Geht es nicht zuallererst darum, einander verstehen zu lernen und nicht ständig das Trennende zu betonen?
Was kann uns verbinden? Für den Glauben der Hindus zum Beispiel ist alles von einer göttlichen Gegenwart durchdrungen: die Menschen, die Natur, alle Geschöpfe, der gesamte Kosmos. Alles ist von Heiligem erfüllt. Allem gebührt Ehrfurcht. Das ist vielen Menschen unserer westlichen, aufgeklärten Kultur und Denkweise eher fremd. Wir kennen die Rationalität der Naturgesetze, deren Geheimnisse wir Zug um Zug entschlüsseln. Und wir laufen Gefahr, die Natur, die Mitgeschöpfe und schließlich uns, die Menschen selbst, vor allem als Gegenstände zu betrachten, über die wir verfügen können - wissenschaftlich und wirtschaftlich.Christen haben an Weihnachten die Menschwerdung Gottes gefeiert. In Jesus von Nazareth. Gott hat sich in diese Welt inkarniert. Er hat sich selbst zu einem Geschöpf dieser Welt gemacht. Gott selbst hat unser geschöpfliches Leben zu seinem eigenen gemacht und ist darin gegenwärtig. Ein für allemal. Kann dieser Glaube nicht eine Brücke zu anderen Religionen sein? Von „Christophanie" war in den Diskussionen in Goa immer wieder die Rede. Das bedeutet: Wir können Christus in allem Geschaffenen erkennen. Alles ist auf Christus hin transparent. Der spanisch-indische Theologe Ramon Panikkar hat davon gesprochen, ähnlich auch Pierre Teilhard de Chardin, der große katholische Denker, der für mich viel bedeutet. „Alles, was geschieht, ist anbetungswürdig", hat Teilhard immer wieder gesagt. In allem ist der Mensch gewordene Gott verborgen und will sich finden lassen - in den Mitmenschen, in den Mitgeschöpfen, im ganzen Kosmos. In allem, was unser Leben bestimmt, scheint er auf: wenn wir wachsen und wenn wir abnehmen, im Gelingen und Scheitern, im Glück und ebenso im Leiden und Sterben. Welche Ehrfurcht vor dem Leben und vor der gesamten Schöpfung kann dieser Gedanke bewirken? Wie sehr kann er uns in Frage stellen, wenn wir meinen, über alles verfügen, alles ausnutzen und ausbeuten zu können? Und welchen Frieden kann dieser Gedanke bewirken, der über die Unterschiede der Religionen hinweg Gemeinsamkeit schafft?

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