SWR2 Wort zum Tag

SWR2 Wort zum Tag

„Im Galarock des heiteren / Verschwenders, / ein Blumenzepter in der schmalen Hand, / fährt nun der Mai, der Mozart des / Kalenders, / aus seiner Kutsche grüßend, über Land.“ Wie der Schriftsteller Erich Kästner hier den Mai in Szene setzt, kommt heutzutage zwar etwas spät: längst schon ist das Aufblühen der Natur im vollen Gang, die Klimaerwärmung machts möglich. Und doch ein zutreffendes Bild. Im Galarock kommt der Mai daher, ein Blumenzepter in der schmalen Hand – also eine königliche Figur, großzügig, charmant; wo er hinkommt, wird alles leicht und schön und hell, wie in der Musik Mozarts.
Einladend und leichtfüßig wie der Wonnemonat Mai geht auch dieses Gedicht weiter: „ Es überblüht sich, er braucht nur zu / winken. / Er winkt! Und rollt durch einen / Farbenhain. / Blaumeisen flattern ihm voraus und / Finken. / Und Pfauenaugen flügeln hinterdrein. // Die Apfelbäume hinterm Zaun erröten. / Die Birken machen einen grünen Knicks. / Die Drosseln spielen, auf ganz kleinen / Flöten, / das Scherzo aus der Symphonie des / Glücks.“ Wieder der Vergleich mit der Musik, wieder die Lust des Hörens und Schauens. Pflanzen und Bäume, Vögel und Farben spielen mit – eine einzige Pracht. Damals gab es auch noch Schmetterlinge wie die Pfauenaugen, die wir längst vernichtet haben. Trotzdem kann sich unsereiner nur mitfreuen. Die einen trinken ihre Maibowle, die anderen tanzen um den Maibaum, die dritten machen eine Wanderung durch den aufblühenden Buchenwald. Aufbruchsstimmung, keine Frage! Frühlingsgefühle, erwachendes Leben.
Aber, selbst in dieser Symphonie des Glücks gibt es Moll-Töne, mitten im schönsten Frühlingserwachen schon gibt es die wehmütige Ahnung der Vergänglichkeit. Kästners vorletzte Strophe in seinem Gedicht „Der Mai“ lautet so: „Melancholie und Freude sind wohl / Schwestern. / Und aus den Zweigen fällt verblühter / Schnee. / Mit jedem Pulsschlag wird aus Heute / Gestern. / Auch Glück kann weh tun. Auch der Mai / tut weh.“ Wie genau das gesagt ist. Das morgendliche Sonnenlicht im Buchenwald, der abendliche Blick auf die tausend Grünschattierungen im Rheingau oder sonst wo in der Weite der Landschaft, der Sonnenaufgang in der Birke gegenüber – solch blendende Schönheit kann mich weinen machen. Und schon erinnert der Blütenstaub ans Vergehen. „Und aus den Zweigen fällt verblühter / Schnee. / Mit jedem Pulsschlag wird aus Heute / Gestern. / Auch Glück kann weh tun. Auch der Mai / tut weh.“ Mitten im Frühlingserwachen doch schon das Wissen um den Gang alles Irdischen, Werden und Vergehen. „Die Zeit versinkt in einer Fliederwelle. / O, gäb es doch ein Jahr aus lauter Mai!“
Im Grün des Frühlings ist schon beides da: Freude übers Leben – und die Ahnung von Sterben und Tod. Doch weil eben dem schönsten Frühling noch der Sommer folgt, der Herbst und dann der Winter, muss es mehr als diese Zyklen geben, mehr als alles. Nicht zufällig ist deshalb Grün die Farbe der Hoffnung. Hildegard von Bingen sprach von der Grünkraft des Glaubens, von der göttlichen Energie in allen Dingen.
Auf den mittelalterlichen Glasfenstern wird das Kreuz Jesu stets grün gemalt, in der Maifarbe der Hoffnung und des Lebens. Im österlichen Lebensbaum des Kreuzes blüht mitten in der vergehenden Welt die wahre auf – und die vergeht nicht mehr. Mit Jesus ist etwas in die Welt gekommen, was nun seit 2000 Jahren schon blüht und jeden Frühling übertrifft: das Tun der Liebe, die Freude an Gott und den Mitmenschen, der göttliche Sonnengesang auf die Lilien des Feldes und die Vögel des Himmels, das Loblied sogar auf den Tod, auf das ganze endliche Leben. Wenn der Mai schon wie ein heiterer Verschwender daher kommt, dann diese Grünkraft dieses Evangeliums erst recht. Versprochen ist jene göttliche Lebensfülle, die schließlich kein Vergehen mehr kennt, keine Melancholie und keinen Schmerz der Endlichkeit. Diese Grünkraft christlicher Auferstehungshoffnung kommt uns entgegen selbst in der Triebkraft der Natur und dem lustvollen Mai-Treiben.


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