SWR2 Wort zum Tag

SWR2 Wort zum Tag

„Wir sind durch Deutschland gefahren / Vom Meer bis zum Alpenschnee / Wir haben noch Wind in den Haaren / Den Wind von Bergen und Seen." Manchmal muss ich an dieses alte Fahrtenlied denken. Wir haben es als Jugendliche oft gesungen. In abendlicher Liederrunde, auf der Gitarre begleitet am knisternden Lagerfeuer.
Im Zeitalter des globalen Reisens wirken solche Lieder vielleicht etwas verstaubt. Und doch glaube ich auch heute noch, dass nicht die gereisten Kilometer über die bleibenden Erinnerungen einer Reise entscheiden, sondern das, was ich unterwegs erlebt habe.
Dieses Lied verbindet sich für mich mit zweierlei: langen Wanderungen an den Stränden der Nordsee und auf kühlen Sommerwegen im Schwarzwald. Aber auch mit dem Bild einer Reise, die nicht nur auf Landschaften und Orte bezogen ist. Sondern auf mein ganzes Leben.
Leben und Reisen haben ja vieles gemeinsam. Es gibt Aufbrüche und Abschiede, Höhepunkte und Tiefpunkte. Es gibt Begegnungen, die uns prägen und solche, die wir lieber vermieden hätten. Wir erleben Krisen und Wandlungen, die uns an Leib und Seele verändern.
Eine interessante Frage ist für mich: Gibt es in allem, was wir erlebten oder was uns zugestoßen ist, so etwas wie einen roten Faden, ein Muster oder einen Sinn? Einen Zusammenhang, der nicht im Voraus zu ersehen ist, sich aber in der Rückschau erkennen lässt?
Ich denke an die Bilder, die es früher in der Kinderecke von Zeitungen gab. Sie bestanden auf den ersten Blick aus willkürlich verstreuten Punkten, neben denen jeweils eine Zahl stand. Verband man diese Punkte in der richtigen Reihenfolge, dann ergab sich aus dem unübersichtlichen Gewirr eine interessante Figur.
Gelingt mir das auch bei den Erlebnissen und Erfahrungen des zu Ende gehenden Jahres? Finde ich so etwas wie einen roten Faden, einen Sinnzusammenhang im Gewirr unterschiedlichster Erlebnisse?
„Das Leben wird nach vorne gelebt und nach hinten verstanden", hat der dänische Philosoph Sören Kierkegaard einmal gesagt. Für mich ist der Gottesdienst am letzten Tag des Jahres, der Altjahresgottesdienst, eine Gelegenheit, im Rückblick eines Jahres mein eigenes Leben ein bisschen besser zu verstehen.
Die Erfahrungen meiner Lebensreise einzuordnen in den großen Zusammenhang der Geschichte, die Gott mit uns Menschen schreibt. Die vielen einzelnen Punkte und Orte miteinander in Verbindung zu bringen - in der Hoffnung, dabei etwas Neues zu entdecken.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=12213
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