Anstöße SWR1 RP / Morgengruß SWR4 RP

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„Ach, Frau Pfarrer, ich geh ja nicht so oft in die Kirche...", gesteht mir schon mal der eine oder andere. Und meist beschleicht mich das Gefühl, da will jemand von mir freigesprochen werden: „Ach, das macht doch nichts. Das nimmt Ihnen unser Herrgott schon nicht übel..." Aber ich kann das nicht sagen. Denn wenn ich länger nicht im Gottesdienst war, plagt mich auch das schlechte Gewissen.
Warum? - Sicher nicht aus Angst, dass Gott mich dann weniger liebt. Aber aus dem Gefühl heraus: Für alles, was mir gerade wichtig ist, finde ich Zeit. Nur Gott vertröste ich gern und sage: Ach, Das wird schon nicht so schlimm sein, wenn ich im Moment keine Zeit für dich habe. Du verstehst das schon.
Mag ja sein, dass Gott das versteht. Aber ob das gut für mich ist?
Auch wenn es bei uns Evangelischen keine Sonntagspflicht gibt, ich persönlich halte den sonntäglichen Gottesdienst für eine richtig gute Angewohnheit. Nicht, um der Kollegin eine Freude zu machen. Sondern um meine Beziehung zu Gott zu pflegen. Weil ich im Gottesdienst mal eine Stunde Zeit habe, mit Herz und Sinn bei Gott zu sein. Und wenn mich die Predigt nicht anspricht, macht das nichts. Dann sitze ich eben im Gotteshaus und breite meine Gedanken vor Gott aus. Genieße die Ruhe in der Kirche und singe und bete mit den anderen.
Freilich, auch das hat seine Grenzen:
An den Feiertagen habe ich einen Abendmahlsgottesdienst besucht. Da sitzt ein Kind in der Reihe vor mir, so drei/vier Jahre alt. Es ist den ganzen Gottesdienst über ruhig und brav. Mal sitzt es auf dem Stuhl zwischen seinen Eltern, dann auf dem Schoß der Mutter. Schließlich schläft es ein. Man merkt einfach, dass dieses Kind Gottesdienste gewohnt ist.
Dieser Gottesdienst zieht sich allerdings sehr lang hin - eine Stunde und zwanzig Minuten. Beim Vaterunser, also ganz am Ende, müssen alle aufstehen. Der Kleine wird davon wach und blickt sich böse um. - Nicht mal ungestört schlafen darf man hier! Als die Gemeinde dann noch zum Sitzen aufgefordert wird, um dem Orgelausklang zu lauschen, da reicht es ihm!
Er steht auf und sagt laut zu seiner Mutter:
"Das ist zu lang! Gottesdienst ist blöd!"
Und verlässt wutstampfend den Raum. Und er hat recht: Auch gute Angewohnheiten sollte man nicht überstrapazieren.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=12185
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