SWR2 Wort zum Tag

SWR2 Wort zum Tag

Ich war viel unterwegs in diesem Jahr. In unserem Land: Viele Orte klingen noch nach. Dresden, Berlin, ein wunderbar stiller Tag im Spreewald, ein Vormittag in einer Kirche in Düsseldorf und viele mehr. Aber so kurz vor dem Jahreswechsel ist mir ein Ort besonders präsent: Der Frankfurter Flughafen. Genauer: Zwei Stunden zwischen einer Landung und der Weiterfahrt mit dem Zug. An einem Sonntag im Spätsommer.
Der Flughafen ist ein Sinnbild für das, was mich heute beschäftigt: Wo ist das Jahr hin? Warum so schnell? Der Sonntag auf dem Flughafen enthält für mich eine Antwort.
Der Landeanflug war turbulent. Es ging durch eine ziemlich dicke Gewitterfront. Aber dann doch: gut angekommen. Danach geht es mir - glaube ich - wie den meisten Menschen auf Flughäfen. Raus aus der Maschine, man schaut nicht zurück, man  konzentriert sich, wohin es weiter geht. Auf dem Flughafen bestimmt einen ganz das Wohin, nicht das Woher, noch das Hiersein.
Alle in Bewegung, manche auch hektisch. Suchen ihre Wege im großen Durcheinander. Nur ab und an, kurz, ergibt es sich, dass ich in der Masse der Reisenden, die durch den Flughafen wogt, einen Einzelnen wirklich wahrnehme. Dann blitzt auf, wie viel Welt an so einem Ort zusammenfließt. Wie viele Leben.
Aber schon hat man sich wieder aus den Augen verloren. Ich muss zu meiner Bahn. Am Bahnsteig Ernüchterung. Der Zug hat Verspätung. Ärgerlich. Unnütz, die ganze Rennerei. Aber dann erweist sich die erzwungene Wartezeit als Glück. Das Hasten zum nächsten Wohin ist unterbrochen. Es kehrt ein bisschen Ruhe ein. Zeit zum Denken: ‚Ich hätte sie mir sparen können diese Rennerei. Vermutlich war es nicht die Einzige in diesem Jahr, wenn man so oft angetrieben wird vom nächsten Ziel und wenn man da ist, muss man zum Nächsten. ‚Muss' man? Wie oft wäre besser: „Ich muss nicht." Zu fragen: Wo lasse ich vor lauter ‚müssen' Möglichkeiten aus, anzukommen, jetzt zu leben?
Leben wie auf dem Flughafen, immer auf der Durchreise.
Auf einmal kommt mir der Satz von Hanns Dieter Hüsch in den Kopf: „Denn alle haben wir nur eine Spielzeit. Und alle sind wir immer nur auf der Durchreise." Ja, auch von Jahr zu Jahr, zwischen Geburt und Tod. Nur bei Hüsch war das kein Grund zur Hektik. Auf der Durchreise zu sein, hat ihn nicht getrieben, wohl auch nicht erschreckt. Auf der Durchreise zu sein, das hindert nicht, immer wieder auch anzukommen. Anzuhalten. Die Schwelle zwischen zwei Jahren zu bedenken.
„Auf der Durchreise", für Hanns Dieter Hüsch hieß das auch: Die Lebensreise hat ein ewiges Ziel: Wir sehen uns wieder, im Himmel.

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