Anstöße SWR1 RP / Morgengruß SWR4 RP

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Weihnachten ohne Weihnachtsbaum? Auf keinen Fall. Da waren sich meine Kinder und mein Mann einig: unter 1 Meter 80 darf er nicht sein, sonst ist es kein Weihnachtsbaum. Das war schon im Krieg so, hat mir meine Mutter erzählt. Da hats ja nichts gegeben. Also ist mein Großvater losgezogen und hat einen langen Stock gesucht. Den hat er angebohrt und hat Tannenzweige reingesteckt. Der perfekte Kriegs- Weihnachtsbaum. Mindestens 1 Meter 80 hoch. Mit gebastelten Strohsternen, Äpfeln und Nüssen, später dann mit Lametta, Schokokringel, Schleifchen, selbstgebastelten Püppchen und allerlei nostalgischem Plunder, aber egal: An Heiligabend war der leuchtende Baum einfach der Hit.
Der Weihnachtsbaum, habe ich gelesen, ist tatsächlich eine protestantische Erfindung aus dem 16. Jahrhundert, sozusagen das Pendant zur traditionell katholischen Krippenaufstellung.
Seitdem bringt der Weihnachtsbaum alle zusammen. Ob katholisch, evangelisch, anthroposophisch oder homöopathisch, alle sind betört von ihm. Wie er so dasteht und nach Harz und Winterwald duftet, nach Äpfeln und Zimt. Und er bringt königliches Licht in die Stube, wenn die Kerzen brennen.
Für mich ist der Weihnachtsbaum so etwas wie die leuchtende Außenseite der Weihnachtsgeschichte. Die ist genau betrachtet ziemlich ärmlich. Ein Stall als Ort der Geburt ist keine göttliche Location. Und dann-  Kindergeschrei zwischen Hühnergackern und Schafsblöken, der Gestank von Kuhmist und die Hirten, die tage- und nächtelang zwischen ihren Schafen gelegen haben. Lauter zerlumpte, arme Leute.
Das Leuchten, der Duft, der Glanz dieser Weihnachtsgeschichte ist nicht so recht zu sehen. Wie überhaupt Gottes Nähe sich nicht so schnell für die Sinne erschließt. Aber wenn man mit dem Herzen sieht, dann kann man es wahrnehmen. Wenn es vor Freude springt, trotz widriger äußerer Umstände. Wenn Menschen von Liebe erfüllt sind, einander Gutes wollen und dankbar sind für das, was ist.
Das ist so wunderbar, so umwerfend, so prächtig wie eben- ein Weihnachtsbaum. Da steht man dann an Weihnachten davor, mit offenem Mund und leuchtenden Augen und denkt: mein Gott, wie schön!

https://www.kirche-im-swr.de/?m=12150
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