SWR2 Wort zum Tag

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‚Glauben heißt soviel wie Nicht-Wissen'. Was ich weiß, das ist sicher, darauf kann ich mich verlassen. Was ich nicht weiß - also nur glauben kann -, das hilft nicht weiter, das sollte ich lieber lassen. So denken viele Menschen und werten den Glauben damit ab. ‚Glaube heißt Nicht-Wissen' - der Satz kann aber anders verstanden werden, dann wertet er den Glauben gerade auf. Er weist nämlich auf das hin, was den Glauben positiv ausmacht, wenn er sich vom Wissen unterscheidet. Normalerweise verstehen wir „Wissen" ja als Antworten auf Fragen, als Ergebnisse von Suchaktionen, wie sie uns im Internet geläufig geworden sind. Hier haben wir gelernt, möglichst gezielt zu fragen und zu suchen; dann kommen wir umso eher bei Antworten an, die unsere Suche beenden. Es gibt aber durchaus eine Suche und ein Fragen, das sich nicht in diesem Sinn beenden lässt. Wer bin ich, woher komme ich und wohin gehe ich, warum lebe ich in dieser Zeit, an diesem Ort, in dieser Gesellschaft und unter diesen Menschen, mit diesen konkreten Möglichkeiten und Grenzen - auf diese Fragen gibt es keine wo auch immer zu suchenden Antworten, die das Fragen beenden. Zu diesen Fragen gehört ein Nichtwissen, und zwar ein Nichtwissen, das nicht durch gezielte Informationen beseitigt werden kann. Dieses Nichtwissen besteht in der Ungewissheit über das Ganze des Lebens. Es beunruhigt und hält gleichzeitig offen. Es bleibt in uns unser Leben lang, hält eine innere Unruhe wach, die manchmal eine Last sein kann, aber auch ein Anstoß, neue Fragen zu stellen, neuen Ideen nachzugehen, einer Sehnsucht treu zu bleiben, die unsere festen Überzeugungen in Bewegung bringt. Das Ergebnis können so experimentierfreudige und einladende Worte sein wie diese vom Theologen und Dichter Lothar Zenetti:  

Es könnte doch sein, dass es das gibt, sagt, was ihr wollt.
Ein Erbarmen, das mich hält,
das mich trägt von jeher.
Ein Erbarmen, in das ich mich
bergen kann jederzeit. 
Sagt, was ihr wollt,
es könnte doch sein, dass es das gibt:
Dass einer ist, der ja zu mir sagt,
der in mir atmet,
dessen Herz in mir schlägt,
der macht, dass ich bin.  
Es könnte doch sein, dass es das gibt,
sagt, was ihr wollt.

 

https://www.kirche-im-swr.de/?m=12032
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