Anstöße SWR1 RP / Morgengruß SWR4 RP

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Neid gehört offensichtlich zum Menschen. Ich hab das vor allem an den Geburtstagen unserer Kinder erlebt. Als die noch klein waren. Da wurden die Geschenke ausgepackt - und jedes Kind hat genau geguckt, dass ja keins mehr kriegt als man selbst manches Mal rannte eines der Kinder weinend davon, tief enttäuscht und neidisch. Vermeiden ließ sich das nicht - dazu mussten sie erst etwas älter werden und lernen, mit ihren Neidgefühlen umzugehen.
Als ich selbst ein Kind war, habe ich gelernt: Wer neidisch ist, ist böse! Neid galt als schwere Sünde und durfte eigentlich gar nicht sein. Im Lauf des Lebens merkte ich allerdings: So gut wie jeder Mensch kennt neidische Gefühle. Die sind manchmal einfach da. Neid hat sogar eine wichtige Seite. Bei Tieren lässt sich das beobachten: sie haben oft einen ausgeprägten Futterneid. Ohne Futterneid würden sie verhungern. Er hilft ihnen, dass sie darum kämpfen, genug Nahrung zu bekommen. „Genug" oder „nicht genug" - das sind die Auslöser von Neid. „Genug" haben ist für uns Menschen wichtig: genug Essen und Zuwendung, dazu ausreichend Bildung, und genügend materielle Grundlagen. Wir brauchen von allem genug. Und wenn wir fürchten, zu kurz zu kommen, entsteht Neid.
Aber nun kommt es darauf an, was ich aus meinen neidischen Gefühlen mache: lasse ich meinen Neid ungebremst auf andere niederprasseln, dann zerstöre ich möglicherweise ganz viel, beschädige andere in ihrem Leben. Neid kann ganze Familien zerfressen. Wenn ich meine Neidgefühle deshalb für mich behalte, aber im Grunde meines Herzens neidisch bleibe, wird mein eigenes Leben vergiftet. Wer dauerhaft neidisch bleibt, versündigt sich am Leben anderer oder am eigenen Leben. Doch ich könnte meine neidischen Gefühle anders nutzen: Vielleicht fehlt mir wirklich etwas? Komme ich wirklich zu kurz? Wenn ich das herausgefunden habe, kann ich überlegen: was könnte mir helfen? Was würde mir jetzt gut tun - oder was brauche ich für mein seelisches Gleichgewicht? Und dann war der Neid ein guter Anstoß, besser für mich selbst zu sorgen - und er kann wieder verschwinden.

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