Anstöße SWR1 RP / Morgengruß SWR4 RP

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Zum beneiden, diese Leute, wirklich! Das schoss mir immer wieder durch den Kopf, als ich im Spätsommer auf dem Weg zur Arbeit an einer Wiese vorbei fuhr. Ursprünglich war da nichts, aber auf einmal standen ein paar Wohnwagen da, manchmal brannte morgens schon ein kleines Feuer - vielleicht zum Kaffee kochen, vielleicht später für den Grill. Im Lauf der Tage kamen mehr Wohnwagen dazu, Erwachsene und Kinder saßen auf Campingstühlen, zwischen den Wohnwagen flatterte die Wäsche im Wind  und es wirkte beschaulich und gemütlich. Wirklich beneidenswert. Ich arbeite gern, aber nicht immer steh ich morgens gern früh auf und beim Anblick dieser Menschen dachte ich: könnte ich das doch auch öfter, einfach so frei leben, den Kindern zusehen, die Wäsche bewachen und den lieben Gott einen guten Mann sein lassen. Früher habe ich das gebeichtet: ich war neidisch. Neid gilt als eine der schweren Sünden, mit denen Menschen sich und anderen das Leben schwer machen Denn ob es wirklich so beneidenswert ist, so im Wohnwagen zu leben, unerwünscht zwischen den Wohnvierteln der Etablierten vielleicht ohne Arbeit und festes Einkommen, das ist ja noch die Frage. Also sollte ich nicht neidisch sein auf das Bild, das sich mir da am Wegesrand bietet, sondern den Verstand einschalten und mich an dem freuen, was ich habe: eine Arbeit, die mir meistens Freude macht, auch wenn ich nicht den ganzen Tag in der Sonne sitzen kann. Aber ich will dem Neid doch noch etwas nachspüren. Er weist mich ja auf etwas hin, was ich eigentlich auch erstrebenswert finde. Dieses scheinbare in den Tag hinein leben,  die Ereignisse auf mich zukommen lassen, sich nicht nach der Uhr richten müssen, aufstehen, wenn man wach wird und ins Bett gehen, wenn man müde wird oder zwischendurch ein Nickerchen halten, sich um Wäsche und Kinder kümmern,  am offenen Feuer kochen und gemeinschaftlich essen. Kann ich das nicht auch? Doch. Natürlich.  Dafür gibt's das Wochenende. Und wenn ich mir nicht selbst den großen Freizeitstress mache,  kann ich dann so in den Tag hinein leben wie die Leute im Wohnwagen. Und den lieben Gott einen guten Mann sein lassen. Damit wäre ich in bester Gesellschaft, das hat er selber ja auch gemacht: am siebten Tag.

 

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