Anstöße SWR1 RP / Morgengruß SWR4 RP

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„Ich liebe meinen Gott, denn er hört die Stimme meines Flehens."

So beginnt ein Psalm der Bibel. Ich liebe meinen Gott, weil er hinhört. Es gibt ja kaum eine Erfahrung, die schlimmer ist als die: Man beschwert sich, protestiert, versucht es im Guten, versucht es mit Härte- und niemand hört hin.
Nicht gehört zu werden, das ist nicht nur frustrierend, das ist auch gefährlich. Wenn ein Kind mit seinen Bedürfnissen ständig auf taube Ohren stößt, wird es gewalttätig. Wenn eine gesellschaftliche Gruppe permanent auf Unverständnis stößt, wird sie radikal- oder verfällt in Apathie. Vielen Bürgern von Mainz sind derzeit hin- und hergerissen. Wegen des Fluglärms. Und weil keiner hinhört, obwohl inzwischen die ganze Stadt vom Fluglärm zersägt wird. Bei Wind aus dem Osten donnert jede halbe Minute ein Flugzeug im Tiefflug über Wohnungen, Krankenhäuser und Parks, verängstigt Kinder, macht Kranke noch kränker und beendet den Nachtschlaf um 5 Uhr morgens. Viele haben demonstriert und protestiert, aber von den Verantwortlichen hört keiner hin. Wie soll die Stadt noch leben auf ihren Straßen und Plätzen, wenn der Wind von Osten kommt?
„Ich liebe meinen Gott, weil er hinhört" sagt der Psalm. Ich liebe meinen Gott, weil er hilft, bei mir selbst zu bleiben. Standhaft zu bleiben bei meiner Überzeugung. Auf ein Wunder zu hoffen. Weil Gott ja Wunder tut. Sogar in Mainz.
Nach dem Krieg zum Beispiel. Da war Mainz von den Franzosen besetzt. Und die wollten aus der Mainzer Innenstadt eine Hochhaussiedlung machen. Die Mainzer Bürger waren entsetzt, hatten aber damals kein Mitspracherecht. Aber sie haben die Pläne der Besatzer so klug boykottiert, dass die irgendwann entnervt abgezogen sind. Ja, abgezogen.
„Ich liebe meinen Gott, weil er hinhört." Auch wenn der Protest noch auf taube Menschenohren stößt, Gott hört hin. Das zu spüren, macht ruhig mitten im Sturm. Es hält einen wach trotz lähmender Ohnmacht. Es kann einen auf kluge Gedanken bringen. Und schließlich kann es einen zufrieden machen. Nicht mit der Situation. Aber mit sich selbst und mit dem Leben, wie es gerade ist. Trotz allem.
„Ich liebe meinen Gott, denn er hört die Stimme meines Flehens"

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