Anstöße SWR1 RP / Morgengruß SWR4 RP

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Eigentlich bin ich ein friedlicher Mensch.
Ganz schlimme Dinge könnte ich nicht tun, habe ich immer gedacht.
Aber dann habe ich den Roman von Friedrich Christian Delius gelesen:
Mein Jahr als Mörder.
Er erzählt, wie ein an und für sich friedlicher Student im Jahr 1968 beschließt, einen Mord zu begehen.
Auslöser war eine Nachricht im Radio.
Ein ehemaliger Richter des Volksgerichtshofes wurde freigesprochen.
Dabei hatte er mehrere Menschen zum Tode verurteilt, nur weil sie Juden geholfen haben.
Als der Student den Namen des Richters hört, erkennt er:
das ist der Mann, der den Vater seines besten Freundes auf dem Gewissen hat.
Er fühlt tiefen Hass und den Wunsch, diesen Mann zu töten.
So einer verdient es nicht zu leben, schon gar nicht in Freiheit, denkt er.
„Wenn der Hass in friedliche Menschen fährt, erschrecken sie selbst am meisten, denn sie wollen nichts zu tun haben mit solchen destruktiven Kräften“,
lese ich in dem Buch und verfolge die Geschichte weiter.
Wie der Student sein künftiges Mordopfer besucht,
wie der ehemalige Richter noch immer keine Reue empfindet.
Im Gegenteil. Der ist stolz auf seine Todesurteile.
Er zeigt seinem Besucher ein Poesiealbum, in dem er die originellsten Urteilsbegründungen aufgeschrieben hat.
Der Student spürt, wie der Hass ihm die Kehle zuschnürt.
Beim Lesen merke ich, wie es auch in mir rumort.
Ich verstehe ihn so gut, diesen potentiellen Mörder.
Und ich erschrecke über mich selbst.
Hass ist eine starke Kraft. Wohin damit?
In der Bibel gibt es viele Gebete, in denen Menschen ihren Feinden die übelsten Sachen an den Hals wünschen.
Gott soll dafür sorgen, dass sie leiden oder sterben.
Und genau das ist der Punkt.
Gott soll dafür sorgen, nicht wir selbst.
„Mein ist die Rache“, sagt Gott.
Ich atme innerlich auf, wenn ich daran denke.
Es gibt einen dritten Weg.
Ich muss meinen Hass nicht in die Tat umsetzen.
Und ich muss die Ungerechtigkeit auch nicht akzeptieren.
Gott wird für Gerechtigkeit sorgen.
Wie auch immer er das tut.
Ich kann das aus der Hand geben.
Und irgendwann mal werde ich Gott jede Mengen Fragen stellen.
Dann werde ich gespannt sein auf seine Antwort.
https://www.kirche-im-swr.de/?m=1197
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