SWR2 Wort zum Tag

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Die Vision vom friedlichen Miteinander

Völker der Erde / zerstört nicht das Weltall der Worte / zerschneidet nicht mit Messern des Hasses / den Laut, der mit dem Atem zugleich geboren wurde
Das sind Worte von Nelly Sachs, die heute, am Buß- und Bettag, einem Tag des Innehaltens, nachdenklich machen. Die Erfahrungen des Holocaust, Leid und Trauer haben Nelly Sachs gezeichnet, aber dennoch konnte sie zu einem friedfertigen Leben auffordern. Völker der Erde / zerstört nicht das Weltall der Worte... Das heißt für mich, zerstört nicht das Leben, zerstört nicht das, was dem Menschen heilig ist: seine Verwurzelung in der Sprache, sein Leben, seine Heimat. Alle Völker der Erde sind aufgerufen, Hass und Unfrieden zu überwinden. Deshalb: zerschneidet nicht mit Messern des Hasses den Laut, denn Worte bedeuten wie der Atem Leben. Was Nelly Sachs beschwört, ist ihre Vision von einem friedlichen Miteinander.
Diese Vision hat eine lange Tradition. Beim Propheten Jesaja (vor 2500 Jahren) ist sie eindrücklich beschrieben:
Da werden die Wölfe bei den Lämmern wohnen und die Panther bei den Böcken lagern... Kühe und Bären werden zusammen weiden... und ein Kleinkind wird seine Hand stecken in die Höhle der Natter. (Jes. 11, 6ff.)
Auch dieses Bild ist ein Bild der Hoffnung, in dem der Prophet seine Vision ausdrückt. Es ist das Bild einer versöhnten Welt, einer Welt des Friedens. Jesaja hat in einer Zeit gelebt, die von Bedrohung, Gewalt und Kriegen erschüttert war. Trotz dieser Zeit größter Not hat der Prophet die Vision von einem Leben ohne Angst, die Vision von  einem friedlichen Miteinander.
Visionen sind auf Zukunft gerichtete Hoffnungen. Sie zeigen immer den Abstand zur Wirklichkeit. Wie zu Jesajas Zeiten werden auch heute Visionen zur Anklage in einer friedlosen Welt, in der Hunger, Gewalt und Krieg herrschen, in der z.B. Kinder in den Kampf geschickt werden. Kindersoldaten, weil sie willige und billige Kämpfer sind. Weltweit mehr als 300 000 Kinder. (So nach einem Bericht der UNO)
Visionen können Leben verändern. Sie können Menschen in Bewegung setzen, die auch den Traum vom friedlichen Miteinander träumen. Ich brauche diese Hoffnung. Sie mit anderen zu teilen und sie dazu zu ermutigen, mitzuarbeiten und mitzugestalten, so dass etwas von diesem Traum auf unserer Erde Wirklichkeit werden kann, gibt Kraft, Lebenskraft. Geteilte Hoffnung lässt mich nicht resignieren  oder glauben, allein doch nichts ausrichten zu können. Das ist meine Hoffnung, nicht nur heute am Buß- und Bettag.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=11914
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