Anstöße SWR1 RP / Morgengruß SWR4 RP

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11. November, Martinsumzug. Als Kind war ich jedes Jahr dabei. Und ich liebte dieses Schauspiel vor der Kirche: St. Martin steigt von seinem Pferd herunter, schneidet seinen Mantel in der Mitte durch und legt die eine Hälfte einem Bettler um die Schultern. Die Szene hat mich fasziniert. Die Dunkelheit und Kälte, die vielen Laternen und die Fürsorge dieses Mannes. Da war so eine Stimmung. Eine große Gemeinschaft. Wir waren uns einig: Den Armen muss geholfen werden. Anfangs hab ich noch gedacht: Was soll der Bettler mit einem halben Mantel? Da hat doch keiner was davon, wenn eine Hälfte des Körpers friert. Aber dann habe ich gesehen: Das ist ein Riesenumhang. Der reicht für zwei.
Teilen ist Christenpflicht. Das habe ich beim Martinsumzug gelernt. Ob bei Mänteln oder bei Schulden. Wir Deutschen haben das schon mal erlebt. Nach dem zweiten Weltkrieg. Da haben uns die Siegermächte die Hälfte  der Schulden erlassen. Sonst wären wir wirtschaftlich nicht so schnell wieder auf die Füße gekommen. Den Steuerzahlern in England und Amerika hat das sicher nicht so gefallen. Aber letztlich hatten alle was davon. Frieden und Wohlstand über lange Zeit. Ob so ein Schuldenschnitt Griechenland auf die Füße helfen wird  - so genau weiß das noch keiner. Aber die Stimmung ist wichtig. Die Haltung: Den Armen muss geholfen werden, nicht nur den Banken.  Teilen dient dem sozialen Frieden.
Hinzu kommt: Noch die Generation meines Vaters hatte Griechenland überfallen. Im 2. Weltkrieg. Als Besatzer haben sie das Land wirtschaftlich bis zum vollständigen Bankrott ausgebeutet. Deutsche haben Griechen getötet, Hungersnöte verursacht und viel Leid gebracht. Heute sucht die Gemeinschaft der Europäer nach Wegen, wie Griechenland zu helfen ist. Ist es da nicht ein Glück, dass wir Deutschen bei der Rettung dabei sein können? Könnte man das nicht auch mal so sehen?
50% Schuldenerlass, das ist der Riesenmantel, den man in der Mitte teilt. Der reicht für zwei. Wenn Mäntel oder Schulden in der Hälfte durchgeschnitten werden, wachsen Menschen zusammen. So entsteht eine große Gemeinschaft -  nicht nur bei Martinsumzügen, sondern auch zwischen Völkern. Das wünsche ich uns für Europa.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=11847
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