SWR2 Wort zum Tag

SWR2 Wort zum Tag

Haben Sie heute Morgen gut ausgeschlafen? Ich hoffe es. Obwohl: Schlafen gilt ja heute bei vielen als ganz unzeitgemäß. Wer als leistungsfähig und belastbar gelten möchte, der sollte nach 5-6 Stunden Nachtruhe wieder fit sein. Und das betrifft nicht nur Ärztinnen oder Sterneköche. Das gilt genauso für die Kirchengemeinderätin, die am Schlaf spart, um Beruf, Familienarbeit und Ehrenamt gleichermaßen gerecht zu werden. Oder für den engagierten Lehrer, der so viele Projekte am Laufen hat, dass für die normale Unterrichtsvorbereitung erst spät abends Zeit bleibt.
Wenn ich vom Tagespensum mancher Kollegen höre, dann bekomme ich den Eindruck, dass sie Schlafen nur noch als Zeitverschwendung ansehen - die feindliche Müdigkeit wird lieber mit Koffein bekämpft. Selbst die Industrie, so habe ich neulich in der Zeitung gelesen, reagiert schon auf den Trend zur Schlaflosigkeit: Weil sich immer mehr Menschen übermüdet ans Steuer setzen, haben amerikanische Autohersteller vorgesorgt und ihre Modelle mit Elektronik versehen, die verhindern soll, dass der Fahrer einnickt.
Ich finde das bedenklich. Denn ich glaube: eine Gesellschaft, die sich keinen Schlaf mehr gönnt, wird schnell auch in anderen Bereichen keine Rücksicht mehr auf Wohlergehen und Gesundheit der Einzelnen nehmen.
Wie eine Provokation hört sich in unserer schlaflosen Welt ein Satz aus den Psalmen der Bibel an: Es ist umsonst, dass ihr früh aufsteht und hernach lange sitzet ...denn den Seinen gibt's der Herr im Schlaf. (Ps. 127,2)
Das klingt provozierend, weil es so gar nicht in unsere Leistungsgesellschaft passt, in der Erfolg möglichst das Ergebnis harter Arbeit sein sollte, um ernst genommen zu werden.
Aber: Ich persönlich mag diesen Gedanken. Und das nicht nur, weil ich zu den unzeitgemäßen Menschen gehöre, die viel Schlaf brauchen. Ich finde ihn gut, weil ich ihn so verstehe: Ein Übereifer, der auf Dauer die Gesundheit ruiniert, führt zu nichts. Es ist umsonst, dass ihr früh aufsteht und hernach lange sitzet... Ein guter, erholsamer Schlaf dagegen, das ist ein echter Segen. Alle, die nicht oder nicht mehr so gut schlafen, werden mir da sicher zustimmen. Deshalb sollte, wer diese Gabe besitzt, sie genießen und so gut wie möglich auskosten.
Das kann bedeuten, auch einmal „Nein" zu sagen zu einem spannenden Angebot oder einer zusätzlichen Aufgabe, die einem angetragen wird. Aber ich bin ich mir sicher: Langfristig schaffen wir ausgeschlafen und ausgeglichen in kürzerer Zeit mehr - und auch Besseres! - als in den Stunden, die wir dem Schlaf mit Hilfe von Kaffee und raffinierten Wecktechniken abtrotzen.
In diesem Sinne: Schlafen Sie gut und lang, wenn Sie können. Das kann Wunder wirken - denn den Seinen gibt's der Herr im Schlaf ...

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