Anstöße SWR1 RP / Morgengruß SWR4 RP

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„Was zwingt uns denn, die Dinge von ihrer schlimmsten Seite zu nehmen?" fragte der Dorfpfarrer im Taunus seine Gemeinde, nachdem er zuvor alle Schrecken aus den Nachrichten aufgezählt hatte: Den Hunger in Somalia, die Hoffnungslosigkeit der jungen Arbeitslosen und Gewalt und Terror an allen Enden der Erde. Es ging ihm  nicht darum, das Schlechte und Schlimme zu relativieren oder schön zu reden. Sondern ihn bewegten die Ohnmacht und Ratlosigkeit, mit der wir mancher Not gegenüberstehen. „Das Schlimme ist dann am schlimmsten" sagte er, „wenn wir es nicht ändern können." Und damit wollte er sich nicht abfinden. Er glaubte daran, dass die Dinge immer noch eine andere Seite haben, von der aus etwas zu machen ist. Das klingt naiv - und funktioniert häufig dennoch, auch bei großen Problemen: Im Südosten  Berlins gleitet ein ganzer Wohnbezirk allmählich in die wirtschaftliche und soziale Hoffnungslosigkeit. Hier kommt alles zusammen: Leere Fabrikhallen, wirtschaftlicher Niedergang, Arbeitslosigkeit, gleichgültige Politiker und ratlose Bürger. Wie soll sich da etwas verändern? Da gelingt es einem Professor und einer Hand voll seiner Studenten, im Gespräch mit Bürgern einen Anstoß zu geben. Kleine Gruppen, Initiativen und Vereine, Geschäftsleute und Kirchengemeinden tun sich zusammen. Über religiöse und soziale Grenzen hinweg machen sie gemeinsame Sache, um ihrem Quartier eine Perspektive zu geben. Sie erzwingen die Aufmerksamkeit der Politik und bringen die Stadtregierung dazu, eine Fachhochschule im Bezirk anzusiedeln und eine Brücke bauen zu lassen, die das Wohngebiet aus der Isolation von anderen Vierteln befreit. Gleichzeitig stellen sie eine Fülle von Initiativen und Hilfen für die Menschen auf die Beine - alles ohne staatliche Unterstützung oder öffentliche Gelder. Bei einer Versammlung treffe ich auf über 500 Menschen, die sich hier engagieren. Sie haben sich nicht beirren lassen, weder von der Größe des Problems, noch vom Desinteresse der Politik. Sie waren nicht bereit, die Dinge so hinzunehmen, wie sie sie vorfanden. Niemand konnte sie zwingen, die Situation für unveränderlich zu halten. Der Pfarrer aus dem Taunus hätte seine Freude an diesen Menschen.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=11734
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