SWR3 Gedanken

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Sie war keine gewöhnliche Tomate. Sie war eine Tomate mit Gesicht. Wuchs munter an einem Strauch vor unserem Haus, bis sie reif zum Pflücken war. Und lachte uns an mit ihrem großen roten Kopf, einer ungewöhnlichen langen Nase und einem grünen Busch auf dem Kopf. Fast hätten wir ihr einen Namen gegeben. Aber dann haben wir sie doch einfach gegessen. Weil das ihre Bestimmung ist.
Wäre unsere Tomate in einem riesigen Gewächshaus im Süden Spaniens gewachsen, hätte sie wohl nie die Chance gehabt, uns Freude zu machen. Denn dann wäre sie aussortiert worden. Ihre Form entsprach in keiner Weise der geforderten Tomatennorm. Und was in der Gemüsewelt nicht in die Norm passt, wird aussortiert. Das gilt nicht nur für Tomaten. Das gilt für viele Lebensmittel.
Jede zweite Kartoffel bleibt auf dem Acker liegen, weil sie nicht schön genug für den Verkauf ist. Europäische Gurken müssen gerade sein, damit sie in die Kisten passen. Und bei Bananen aus Kamerun ist vorgeschrieben, wie viele Bananen an einem Strunk sein dürfen. Im Endeffekt landet ein Drittel aller weltweit hergestellten Lebensmittel im Müll. Ohne jemanden zu erfreuen oder gar satt zu machen.
Heute ist Welternährungstag. Heute vor 66 Jahren wurde die Welternährungsorganisation gegründet, um die weltweite Ernährung sicherzustellen. Was bis heute nicht gelungen ist. Denn weltweit hungert fast eine Milliarde Menschen. Während jedes Jahr 1,3 Milliarden Tonnen Lebensmittel im Müll landen. Irgendwie widersinnig.
Vermutlich wird auch dieser Welternährungstag daran nicht viel ändern. Solange wir nicht weltweit dazu bereit sind, uns über unseren Umgang mit Nahrungsmitteln und freier Marktwirtschaft Gedanken zu machen. Ich bin kein Ernährungs-Gutmensch. Aber es ist mir zumindest egal, wie viele Bananen an einem Strunk sind oder dass mein Apfel nicht wie gemalt aussieht. Große und kleine Kartoffeln gehören zu Gottes Schöpfung. Und der Geschmack ist schließlich derselbe.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=11714
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