SWR2 Wort zum Tag

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Anfang August musste ich dienstlich nach Kenia und zu dieser Zeit war die Hungersnot am Horn von Afrika in aller Munde. Die häufigste Frage vor der Abreise lautete deshalb: Wirst du in dieser Zeit nicht selbst mit diesem Elend konfrontiert? Wirst Du den vielen Hungernden begegnen?
Ich habe mehrere Wochen im Süden Kenias verbracht, wo über 90% der Bevölkerung leben. Und dort war von Hunger oder Krise so gut wie nichts zu spüren. Das riesige Flüchtlingslager Daabab, das täglich bei uns in der Tagesschau gezeigt wurde, liegt dagegen im wüstenartigen Nordosten Kenias, ganz nah der Grenze zu Somalia. In diese Gegend gelangen auch die Kenianer selbst so gut wie nie. Ich kam ins Grübeln über die Frage nach meiner eigenen Betroffenheit: Wenn um mich herum nichts von einer Katastrophe zu sehen ist, bin ich dann mehr betroffen, wenn ich nur 800 km davon entfernt bin, statt 8000? Lasse ich mich überhaupt noch betreffen von den vielen Schreckensmeldungen, die mich über die Medien erreichen? Wie nahe bin ich den Leidenden emotional? So nahe, wie ich ihnen räumlich bin? Oder lasse ich das erst nahe an mich ran, wenn ich jemanden von denen kenne, die da leiden müssen? Wirkliche Antworten für diese Fragen habe ich nicht gefunden, aber ein paar Ansätze zum Weiterdenken: Wenn die Betroffenheit mich einfach nur lähmt ist wenig gewonnen. Zu diesem Gefühl muss vielmehr eine Haltung kommen, die man Solidarität nennt. Solidarität mit denen, die Leiden, kann mich antreiben, wirklich nach langfristigen Lösungen zu suchen. Ebenso wichtig ist aber auch, konkret etwas zu tun. Ein eindrucksvolles Beispiel habe ich vor Ort in Kenia erfahren: Zum ersten Mal entstand im Land selbst eine Welle der Hilfsbereitschaft, ausgelöst durch die schrecklichen Bilder in den Zeitungen und auf den Fernsehschirmen. Spenden wurden gesammelt, Benefizkonzerte veranstaltet, Konvois mit Hilfsgütern losgeschickt. Empfänger sind diejenigen Landsleute, die neben den somalischen Flüchtlingen ebenfalls im Norden Kenias leben und von der schrecklichen Dürre betroffen sind. Hier hat gefühlte Nähe zu den Notleidenden zum ersten Mal dazu geführt, dass nicht nur auf die Hilfe aus den Industrieländern gewartet wurde, sondern die Kenianer selbst das Heft in die Hand nahmen. Ein durchaus bemerkenswerter Fall von Menschen, die aus Betroffenheit handeln.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=11712
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