SWR2 Wort zum Tag

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Einer der berühmtesten Kriminalfälle findet sich in der Bibel, spannend zumal, weil er sowohl im Rotlichtmilieu als auch in höchsten Kreisen spielt. Nein, die Geschichte spielt nicht am schwedischen Königshof, aber wir sind schon nahe dran. Es geht um das berühmte salomonische Urteil. Zwei Prostituierte bekommen Söhne, der Sohn der einen stirbt, sie entführt das Kind der anderen und behauptet, deren Kind sei tot. Der Fall kommt vor König Salomo. Der König ist der Richter.
Was mich an der Geschichte beeindruckt ist die Tatsache, dass sich der König Zeit für zwei Prostituierte nimmt. Der älteste Beruf der Welt war noch nie sonderlich geachtet. Wen schert es schon, ob die eine Hure der anderen ein Kind wegnimmt, dessen Vater mit Sicherheit nicht bekannt ist. Wer kümmert sich schon um die Gefühle und das Recht von zwei Frauen am äußersten Rand der Gesellschaft? Salomo selbst dürfte bei - biblisch verbürgten - 700 Hauptfrauen und 300 Nebenfrauen körperlich ausgelastet gewesen sein und die Dienste der Damen kaum in Anspruch genommen haben. Persönliche Verwicklungen mit einer der Beteiligten sind daher auszuschließen. Dennoch nimmt sich der König Zeit - und das Anliegen der Frauen ernst. Damit wird er zu einem Gleichnis für die Liebe Gottes. Die Liebe? Ist davon noch etwas vorhanden in der vergifteten Atmosphäre? Zwei Frauen, die sich mit Sicherheit hassen, ein totes Kind, ein lebendiger Säugling, an dem zwei Frauen zerren und der wahrscheinlich eine düstere Zukunft hat. Doch Gott schert sich  nicht um vergiftete Atmosphäre, um soziale Grenzen, und aussichtslose Situationen sind ihm nicht unbekannt. Der König nimmt sich Zeit - so wie Gott sich Zeit nimmt. Für jeden von uns. Gleichgültig, welchen Vater oder welche Mutter wir haben. Gleichgültig, welches Schicksal wir mit uns schleppen und wie düster unsere Aussichten sind.
Der König ist der Richter. Seine Ermittlungsmethode ist ungewöhnlich phantasievoll. Sie rechnet damit, dass sich die Liebe zeigen wird und er, der König und Richter, ihre Sprache versteht. In der Tat: die Liebe zeigt sich - im Verzicht. Das geliebte Kind soll lieber bei der gehassten Frau aufwachsen und leben als für eine absurde Gerechtigkeit getötet zu werden. Und der König versteht die Sprache der Liebe und erkennt die richtige Mutter.
Wenn wir einmal Rechenschaft ablegen für unser Leben, vor unserem göttlichen Richter, dann kommt es wahrscheinlich weniger auf unsere Leistungen an, wohl gar nicht auf unseren sozialen Status oder das, was wir erreicht haben in den Augen der Menschen. Sondern auf unser Herz, auf die Momente der Liebe in unserem Leben und darauf, ob wir auch einmal verzichten konnten, um der Liebe willen.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=11659
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