SWR2 Wort zum Tag

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Gedenkstätte Hohenschönhausen in Berlin - ein älterer Herr führt durch das ehemalige Stasi-Untersuchungsgefängnis. Die jungen Kerle aus der Schulklasse horchen auf als er erzählt, dass er mit 16 Jahren hier zum ersten Mal inhaftiert wurde. Damals gab es noch die Wasserfolter - aus einem löchrigen Gefäß tropft Wasser pausenlos auf den Kopf des auf einen Stuhl Gefesselten. Man wird verrückt davon. Der ältere Herr erzählt weiter: Wie er später noch einmal festgenommen wurde, körperliche Folter war inzwischen verpönt, dafür gab es Einzelhaft, Wochen einsam in der Zelle, ohne jemals einen Menschen zu sehen oder sprechen zu dürfen. Am Ende sehnte er sich nach dem Verhör. „Das ist doch auch Folter" sagt ein Junge. Der alte Herr nickt.
Das Unrecht, es zieht sich durch die Weltgeschichte. Gab es eine Zeit, in der das Recht nicht gebrochen wurde, in der nicht Unschuldige schuldig gesprochen wurden, in der durch Lüge das Recht verdreht wurde? Hört das denn gar nicht auf?
Doch, sagt der Prophet Jesaja. Noch eine kleine Weile. Und er lehrt mich die Kunst des Wartens. Nein - nicht so ein schreckliches Warten wie in Hohenschönhausen. Noch eine kleine Weile. Das ist wie eine Pause im Schrecken.
Die Pause im Schrecken reißt den Himmel auf.
Es wird ein Ende haben mit den Tyrannen und mit den Spöttern aus sein, sagt der Prophet. Darauf warten wir schon seit Menschengedenken, sagen die Resignierten. Die Verächter ergänzen, dass das alles nur Opium des Volkes ist. Der ältere Herr in Höhenschönhausen kennt viele, die behaupten, es sei alles nicht so gewesen im Stasigefängnis. Manchmal hat er Angst, dass sie wieder an die Macht kommen und 16jährige einsperren, die es wagen, ihre eigene Meinung zu sagen. Geht das denn ewig so weiter? Es wird ein Ende haben mit den Tyrannen und mit den Spöttern aus sein. Noch eine kleine Weile...
Mag sein, die Tyrannen dieser Welt wollen Menschen ihre Würde nehmen. Sie können die Hoffnung nicht zerstören. Und auch nicht die Erinnerung an alle, die trotz aller Verfolgung diesen himmlischen Blick gewagt haben, nicht die Erinnerung zerstören an alle, die trotz aller Verfolgung diese himmlische Kunst des Wartens gelernt haben, die ihre Sehnsucht bewahrten nach einer Welt, in der die Schöpfung aufatmen kann und die Wahrheit ans Licht kommt. Und wie durch ein Fenster das Licht ins Dunkle fällt, öffnet sich, wartend, für uns das Lichtfenster der Hoffnung. Mag sein - andere sagen, es ist ein Traum. Aber ich brauche diesen maßlosen Traum, damit man mir nicht vorgaukeln kann, es gäbe keine Erfüllung unserer letzten und größten Wünsche. Hoffend, glaubend, ist der Traum schon jetzt da. Und unterbricht den Schrecken.

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