SWR2 Wort zum Tag

SWR2 Wort zum Tag

Meine Mutter hat mir als Kind am Bett immer vorgesungen. Mein Lieblingslied damals: „Weiß Du wie viel Sternlein stehen, an dem blauen Himmelzelt?" Noch heute, wenn ich am Morgen aufwache, die Nacht ist klar gewesen und ich sehe vom Bett aus den Sternenhimmel, muss ich daran denken. Jedes Mal ein wunderschöner Anblick.
„Weißt du, wie viel Sternlein stehen?" Ich jedenfalls wusste nicht, wie viele Sterne da oben stehen. Zählen konnte ich damals nur bis zehn, und es waren deutlich viel mehr. Was mich darum schwer beeindruckte: dass in diesem schönen Lied behauptet wird: „Gott, der Herr, hat sie gezählet, das ihm auch nicht eines fehlet, an der ganzen großen Zahl." Dann stellte ich mir vor, wie Gott mit seinem Zeigefinger auf jeden einzelnen  Stern deutet, weiß, wie viele es sein sollen, sie noch einmal durchzählt und sich trotz der großen Zahl nicht vertut. Und am Ende, wenn er mit allen Milliarden Sternen durch ist, stellt er befriedigt fest: „Aha, alle noch vollzählig." Gott hatte den Überblick. Falls ein Stern gefehlt hätte, ihm wäre es sofort aufgefallen. Einfach beeindruckend, fand ich.
Das galt, allerdings etwas abgeschwächt, auch für die zweite Strophe des Lieds: „Weißt du wie viel Mücklein spielen in der heißen Sonnenglut? Weißt du wie viel Fischlein auch sich kühlen in der hellen Wasserflut?" Fische- und Mückenzählen schienen mir irgendwie nicht mehr ganz so beeindruckend wie Sterne zählen. Obwohl mir sofort einleuchtete, dass das ja viel schwieriger war, weil die so durcheinander wimmeln und man immer nicht weiß: Hat man den schon mitgezählt oder nicht?
Damals wusste ich noch nicht, dass das alles so ähnlich in der Bibel stand, im Psalm 147, wo es heißt: „Gott zählet die Sterne und nennet sie alle mit Namen." Auf jeden Fall fand ich diese Vorstellung, dass Gott nichts aus dem Blick verliert, keinen Stern, keine Mücke, keinen Fisch, sehr beruhigend.
So beruhigend wie die Stimme meiner Mutter, die dann die letzte Strophe sang, in der ich gefragt wurde: „Weißt du, wie viel Kinder frühe, stehn aus ihrem Bettlein auf, dass sie ohne Sorg und Mühe fröhlich sind im Tageslauf?" Damals glaubte ich noch, dass sei normal für Kinder: fröhlich aufstehen dürfen, ohne Sorg und Mühe, wie ich.
Das Schönste aber war: Gott verlangte von Kindern offensichtlich nicht mehr als: Fröhlich sein. Kein Bravsein, keine guten Noten. Da war er deutlich toleranter als meine Eltern. Überhaupt schien er vom Zählen der Sterne, Mücken und Kinder auch einmal genug zu haben, was mir sympathisch war. Denn am Ende hieß es: „Gott im Himmel hat an allen, seine Lust, sein Wohlgefallen, kennt auch dich und hat dich lieb." Gott ist eben nicht bloß ein nüchterner Rechner. Er ist auch noch wie eine Mutter, die etwas von Liebe versteht.

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