SWR3 Gedanken

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Karl sitzt auf dem Sofa und starrt vor sich hin. Karl ist dement, wie über eine Million Menschen in unserem Land. Er lebt bei seiner Tochter und ihrer Familie, zu der auch Monika, die siebenjährige Enkeltochter gehört. Früher hat er unbeschwert mit der Kleinen gespielt und gelacht. Heute erkennt er sie manchmal nicht mehr und behandelt sie wie eine Fremde. Nicht immer versteht sie das, aber sie weiß, dass ihr Opa krank ist. Weil ihre Eltern ganz offen über diese Krankheit reden - auch mit Monika. Denn sie soll wissen, warum ihr Opa manchmal orientierungslos ist oder plötzlich aggressiv werden kann. Dieses Wissen hilft ihr, das richtig zu verstehen. Und es nicht persönlich zu nehmen. Monika weiß jetzt, wie sie das seltsame Verhalten von ihrem Opa zu verstehen hat- und kommt deshalb auf tolle Ideen.
Karl war früher Bäckermeister und neulich kommt Monika mit frisch gebackenen Brötchen zu ihm aufs Sofa. Die hält sie ihm unter die Nase. Der Duft zaubert sogar für einen Moment ein Lächeln in sein Gesicht. „Opa", fragt sie dann, „wie backt man denn solche Brötchen?" Da fängt Karl auf einmal an zu erzählen. Von früher und seiner geliebten Backstube. Von frisch gebackenen Apfelkuchen und heimlichen Naschereien. Er erzählt von seiner ersten großen Liebe und seinem ersten Auto. Monika hört ihrem Opa aufmerksam zu. So viel hat sie ihn selten reden gehört. Nach einer Weile verstummt er wieder und guckt sie mit ganz großen Augen an: „Wann kommt denn endlich der Bus?" Monika streichelt ihm über die Hand und lächelt ihn an. „Alles ist gut, Opa. Der Bus hat dich doch längst nach Hause gebracht."

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