Anstöße SWR1 RP / Morgengruß SWR4 RP

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Als ich heute, vor 10 Jahren, von dem Terroranschlag auf das World Trade Center erfuhr, kam ich gerade nichts Böses ahnend zur Chorprobe in Waldlaubersheim. Betretene Gesichter schauten mir entgegen. Und ehe ich fragen konnte, was denn geschehen sei, bat mich der Chorleiter, doch bitte mit einem Gebet zu beginnen.
Und mit der Bitte um Gebete oder Andachten ging es weiter, viele Tage lang. Deshalb sind zwei Bilder in meinem Gedächtnis gleich stark: Einmal diese unfassbare Szene, in der das Flugzeug in einen der Türme vom World Trade Center kracht. Das andere die Lichtermeere - der Ausdruck weltweiten Entsetzens und Trauer. Und - es mag merkwürdig klingen - immer kommt mir das Lied von Dietrich Bonhoefer in den Sinn:
"Von guten Mächten treu und still umgeben,
behütet und getröstet wunderbar,
so will ich dieser Tage mit euch leben
und mit euch gehen in ein neues Jahr."
Eigentlich widerstrebt mir der Text. Denn die Menschen, die da durch brutale Gewalt aus dem Leben gerissen wurden, die haben doch das krasse Gegenteil erfahren: Von bösen Mächten hasserfüllt umgeben, ausgeliefert, ohne Trost...
Woher kommt mir dieses Gefühl der Hoffnung?
Ich glaube, es war die Stille, die damals eingekehrt ist. Eine Stille, wie ich sie nicht gekannt habe. Eben nicht die laute Empörung, die Schuldzuweisungen, wie es eben sonst so zugeht, wenn etwas Schlimmes passiert. Sondern ein großes, stilles Entsetzen. Überall Blumen, Kerzen, Menschen, denen die Trauer ins Gesicht geschrieben steht. Und das Gefühl, weltweit vereint zu sein. Dagegen ist der Terror machtlos.
Und da weiß ich, warum mir das Lied von Bonhoefers nicht aus dem Kopf geht: Bonhoefer wusste, was es heißt, von bösen Mächten umgeben zu sein. Genau aus dieser Situation heraus - aus der Einzelzelle im Gefängnis - schreibt er gegen sie an: "Von guten Mächten treu und still umgeben, behütet und getröstet wunderbar..."
Denn gegen sein Vertrauen haben die bösen Mächte keine Chance. Aus dieser Kraft heraus, in auswegsloser Lage, gefangen eingesperrt, von Hass umgeben, da findet er Worte, die Generationen von Menschen in ihrem Leid getragen und getröstet haben:
„Lass hell und warm die Kerzen heute flammen,
die du in unsre Dunkelheit gebracht,
führ, wenn es sein kann, wieder uns zusammen.
Wir wissen es, dein Licht scheint in der Nacht."

https://www.kirche-im-swr.de/?m=11512
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