SWR2 Wort zum Tag

SWR2 Wort zum Tag

Manchmal kommen wir schwer in den Tag, manchmal ist uns alles zu viel, der Lustpegel ist völlig abgesackt und jeder Schritt fast braucht doppelt soviel Energie. Die 150 Psalmen der Bibel sprechen solche Situationen oft an: Bedrängnis und Druck von außen, von innen Müdigkeit, Anflüge von Resignation oder gar Depression. In Psalm 27 steht dazu ein wunderbarer Dreiklang. „Mein Herz denkt an dein Wort: 'Sucht mein Angesicht!' / dein Angesicht, Herr, will ich suchen. / Verbirg nicht dein Gesicht vor mir." Das Angesicht Gottes ist im Alten Testament ein Bild für seine Nähe und Zuwendung, damals besonders im Tempel und eigentlich überall. Das Gesicht des anderen suchen, sich im Auge behalten und Blickkontakt haben - das ist eine elementare Sache, das bedeutet Beziehung , kostbar gerade in schweren Zeiten. Gottes Angesicht zu suchen und seine Nähe zu erbitten - das tut gut und baut auf. Selbst wenn kein Mensch da wäre, so ist der Mensch betend doch nicht allein: „Wenn mich auch Vater und Mutter verlassen, der Herr nimmt mich auf", heißt es im Psalm einige Verse weiter. Und so kommt es zum zweiten Schritt in diesem Drama der Gott- und Selbstbegegnung. Betend gibt der Mensch der Einladung Gottes Resonanz und antwortet: „Ja, dein Angesicht, Herr, will ich suchen." Er versinkt nicht länger in seinen eigenen Gedanken und Grübeleien, er überlässt sich nicht seinen vielen Einsamkeiten und dem inneren Chaos des Fragens und Suchens. Entschieden ändert er die Richtung. „Dich will ich suchen." Das Hamsterrad einsamer Selbstgespräche ist gestoppt, das göttliche Gegenüber wird in den Blick genommen, mitten im eigenen Herzen, mitten im Alltag, mitten im Hier und Jetzt. Jeden Augenblick weiß der betende Mensch: Das geliebte und gesuchte Gegenüber ist nicht manipulierbar, wir können es nicht herbeizitieren, wir können Gottes Nähe nicht erzwingen. Deshalb der dritte Schritt in diesem Dreiklang des Psalmisten:„Verbirg nicht dein Angesicht vor mir." Im Spiel mit Kindern habe ich dies öfter erlebt: Wenn ich zu lange wegschaue und mich verberge, wird das Kind unruhig, irritiert oder fängt gar an zu weinen. Sein Angesicht verbergen, sich abwenden, das ist ganz schlimm. Dann wäre ich verlassen! Betend weiß der Mensch, dass Gottes Gegenwart nie selbstverständlich ist. Wir können darum nur bitten. Aber unserer Bitte ist er längst zuvor mit seinem Wohlwollen und seiner schöpferischen Kraft.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=11509
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