Anstöße SWR1 RP / Morgengruß SWR4 RP

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In letzter Zeit ist unter Theologen und Kirchenleuten der Begriff der »Gotteskrise« populär. Gemeint ist damit: Gott ist für viele Menschen heute keine sinnvolle Vokabel mehr. Der Begriff Gott sagt nichts mehr. An Gott zu glauben, dass ist für viele so unvorstellbar, wie zum Mond zu fliegen.
Und so wird die Welt unterteilt in die, die an Gott glauben, und in die vielen anderen, die eben mit Gott nichts anfangen können. Dabei wird eins übersehen: Die Gotteskrise gehört zum christlichen Glauben dazu. Sie ist Teil des Glaubens. Zum einen, weil auch viele Gläubige Probleme mit Gott haben. Weil sie nicht spüren, wo und wie Gott zu finden ist. Weil sie in dieser Welt keine Spuren Gottes entdecken. Weil es gute Gründe gibt, Gott zu verabschieden.
Zum anderen, weil die Probleme mit Gott tief führen. Es ist nämlich gar nicht so klar und deutlich, wie Gott überhaupt gedacht, erfahren, gespürt werden kann. Das fängt schon damit an, dass alles Reden über Gott schnell zum Gerede wird. Dann lässt sich Gott für alles und jedes heranziehen. Auch hier morgens im Radio. Dabei wird vergessen, was die Theologen aller Jahrhunderte immer wieder gesagt haben: Über Gott lässt sich nur annäherungsweise sprechen. Alles, was Menschen über Gott sagen, ist nur ein Bruchstück, ist vielleicht immer eher falsch als wahr. Ich merke vor allem, wenn vom Willen Gottes die Rede ist. „Gott will das so", dass haben Christen vieler Jahrhunderte gesagt. Und ich frage mich dann: Woher wissen die so genau, was Gott will und was nicht? Ich erlebe eher das Schweigen Gottes. Und ich bin überzeugt, dass Gott immer mehr verborgen als offenkundig ist. Ich bin kein Atheist. Ich glaube, dass Gott ist. Aber das heißt noch lange nicht, dass damit alles klar wäre. Nein, mit Gott ist gar nichts klar. Und das darf auch so sein. Glaube, das erfahre ich immer wieder, ist ein langer Weg. Wer sagt: „Ich glaube", der steht am Anfang dieses Weges. Nicht schon am Ende. Glaube heißt, sich Gott immer wieder anzunähern. Auch durch das Schweigen Gottes hindurch.  

 
https://www.kirche-im-swr.de/?m=11399
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