Anstöße SWR1 RP / Morgengruß SWR4 RP

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Ich gebe zu, ich beneide diese Frau. Anjezë Gonxhe Bojaxhiu, besser bekannt als Mutter Teresa. Nicht, weil sie so bekannt ist. Nicht, weil sie für viele ein Vorbild ist. Sondern wegen ihrer Begegnung mit Jesus. Eine spektakuläre, alles verändernde Begegnung. In ihrem Tagebuch berichtet sie von einer Fahrt durch die indische Metropole Kalkutta. Es ist kurz nach dem zweiten Weltkrieg. Anjezë ist schon seit fast zwanzig Jahren in Kalkutta. Aber jetzt, am 10. September 1946, mitten in den Slums, im Dreck, begegnet sie Jesus. Er fordert sie auf, ihr Leben zu ändern, alles aufzugeben und ihm in die Slums der Stadt zu folgen. Nur mit dem Ziel, den Ärmsten der Armen zu dienen.
Wow. Das sitzt. So eine Begegnung hatte ich bisher noch nicht. Das bringt mich zum nachfragen: Was ist mein Glaube wert, ohne eine solche persönliche Begegnung? Umgekehrt tue ich mich schwer mit Menschen, die ganz genau das Datum ihrer Bekehrung, ihrer Begegnung mit Jesus oder Gott nennen können. Die wissen, Jesus liebt mich und Gott ist bei mir. Das zu glauben, fällt mir oft ganz schön schwer. Mutter Teresa hatte diese Fragen - scheinbar - nicht. Die Tochter einer albanischen Kaufmannsfamilie weiß schon mit zwölf ganz genau, dass sie Nonne werden will. Mit 18 tritt sie in einen Orden ein, arbeitet wenig später in Kalkutta als Lehrerin. Bis zu dieser denkwürdigen Begegnung mit Jesus. Danach ist alles anders. Sie verlässt ihren Orden und fängt zunächst ganz allein mit ihrer Aufgabe an. Für die Armen dazusein. Wenig später scharen sich andere Frauen um sie, sie gründet einen eigenen Orden, wird zu der Frau, die viele heute noch vor Augen haben, obwohl sie auf den Tag bereits seit 14 Jahren tot ist.
Aber vor Zweifeln und Fragen hat sie die Begegnung mit Jesus nicht bewahrt. Jahrzehntelang kämpft Mutter Teresa - unbemerkt von allen - um ihren Glauben. Sie schreibt in ihrem Tagebuch, das erst nach ihrem Tod veröffentlich wird: „Der Himmel bedeutet nichts mehr - für mich schaut er wie ein leerer Platz aus." Trotz dieser Zweifel hat sie vielen Menschen hier auf der Erde einen Platz geschenkt. Und ob der Himmel wirklich leer ist, das weiß sie jetzt schon im Gegensatz zu uns.

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