SWR2 Wort zum Tag

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Zum Beginn der Salzburger Festspiele hat in diesem Jahr Joachim Gauck die Eröffnungsrede gehalten, der einstige DDR-Bürgerrechtler und spätere Bewerber für das Amt des Bundespräsidenten. In bewegender Weise hat er dabei an Frauen und Männer erinnert, die sich auch unter dem Druck der DDR-Diktatur nicht angepasst und ihr Gewissen nicht auf dem Altar der Macht geopfert haben. „Das Ohr aufwecken, die Augen, das menschliche Denken", so lautet das Thema von Gaucks Rede. Er wisse seit diesen Jahrzehnten des Unrechtsregimes viel darüber, was das heißt: vor lauter Ideologie nicht taub zu werden gegenüber der Wahrheit und blind gegenüber dem, was richtig und was falsch ist. Was es bedeutet, die Stimme des eigenen Gewissens zu hören und dem eigenen Verstand zu trauen. Und dann fügt Gauck noch einen Satz hinzu, auf den ich eingehen will. Er sagt: „Ganz nebenbei habe ich gelernt: Glaube niemandem, der dir sagt, es gebe kein richtiges Leben im falschen." Von dem Philosophen Adorno stammt dieses viel zitierte Wort: „Es gibt kein richtiges Leben im falschen." Man könne unter unmenschlichen Verhältnissen nicht zu einem wahrhaftigen Leben finden, so Adorno. Doch, entgegnet Gauck. Es gab immer Menschen, die Augen und Ohren, Herz und Verstand nicht verschlossen haben. Die nicht weggesehen und weggehört und geschwiegen haben. Die den Mut und die Kraft fanden, über den eigenen kleinen Radius hinauszuschauen.
Wir wissen, sagt Joachim Gauck, „dass wir hinreichend oft in unserem Leben eine Wahl haben - nicht immer nur zwischen Gut und Böse, oft aber zwischen Besser und Schlechter." Das ist realistisch. Es gilt im persönlichen Leben ebenso wie in den größeren politischen und gesellschaftlichen Zusammenhängen.
Gaucks Wort ermutigt mich zur Freiheit. Auch wenn mich vielleicht die Schatten meiner Lebensgeschichte immer wieder einholen; auch wenn Andere das Sagen haben und ich sowieso nichts zu melden habe; auch wenn man an den allgemeinen Verhältnissen der Gesellschaft, der Politik, der Kirche scheinbar ohnehin nichts ändern kann - ich habe immer eine Wahl.
Nichts ist so festgelegt, dass es nicht immer die Möglichkeit des Besseren gibt, einen Raum für mehr Menschlichkeit. Ich muss allerdings Augen und Ohren öffnen, mit wachem Herzen und kritischem Verstand leben, um das wahrzunehmen und meinen eigenen Standpunkt zu finden. Ich muss meiner Freiheit etwas zutrauen. Sie macht meine Würde aus. Sie stellt mich allerdings auch in eine Verantwortung, die ich nicht abtreten kann.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=11392
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