SWR2 Wort zum Tag

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Die biblische Geschichte vom verlorenen Sohn bewegt mich immer wieder, wenn ich sie im Gottesdienst höre. Oder besser noch: Es ist die Geschichte vom barmherzigen Vater, der dem Sohn verzeiht und ihn wieder aufnimmt, obwohl alles dafür spricht, ihn von der Tür zu weisen.
Vor allem der letzte Teil beschäftigt mich: Der ältere Bruder beklagt sich über den Jüngeren. Schließlich hat dieser vor einiger Zeit den Familienbetrieb gefährdet indem er eigensinnig sein Erbteil gefordert hat. Dann hat er diesen Teil des Familienvermögens sinnlos und unsittlich verschleudert. Jetzt, nachdem ihm das Geld ausgegangen und er in der Gosse gelandet ist, jetzt kommt er wieder zurück und möchte sich wieder einnisten.
Auch für mein Gefühl ist das nach wie vor eine unverträgliche Ungerechtigkeit, dass der Vater nun auch noch ein großes Fest ausrichtet und das wertvollste Tier auf dem Hof schlachten lässt. So ist es eigentlich der Vater, der vom älteren Sohn verständlicher Weise angeklagt wird: „So viele Jahre schon diene ich dir", heißt es im Lukasevangelium, „und nie habe ich gegen deinen Willen gehandelt; mir aber hast du nie auch nur einen Ziegenbock geschenkt, damit ich mit meinen Freunden ein Fest feiern konnte. Kaum aber ist der hier gekommen, dein Sohn, der dein Vermögen mit Dirnen durchgebracht hat, da hast du für ihn das Mastkalb geschlachtet." Muss Verzeihen und Versöhnen wirklich so weit gehen, dass solche Ungerechtigkeit dabei herauskommt? Überwindet Gott wirklich jedes Maß dessen, was ich als angemessen empfinde? Und soll ich als Christ wirklich ebenso handeln? Und wie weit muss das letztlich gehen? Gilt es auch noch, wenn der Missetäter überhaupt keine Reue zeigt? Was hätte der barmherzige Vater getan, wenn der verlorene Sohn nicht gesagt hätte: „Vater, ich habe mich gegen den Himmel und gegen dich versündigt; ich bin nicht mehr wert, dein Sohn zu sein"? Ich habe noch viel mehr Fragen zu diesem Bereich Vergehen und Verzeihen. Jedenfalls viel mehr als Antworten. Der Evangelist Lukas will mit seiner Geschichte wohl sagen: Ja, genau so barmherzig und wohlwollend ist Gott. Damit habe ich wohl noch eine Weile zu kämpfen. Und Lukas meint wohl auch, dass wir genau diesem Geist der Vergebung nacheifern sollen. Damit habe ich wohl noch eine Weile länger zu kämpfen.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=11389
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