Anstöße SWR1 RP / Morgengruß SWR4 RP

Anstöße SWR1 RP / Morgengruß SWR4 RP

„Liebt eure Feinde!" (Matthäus 5, 39). Einer der bekanntesten Aussprüche Jesu. Aber: Seine Feinde lieben - ist das nicht etwas zu viel verlangt? Abgesehen davon: Ich könnte nicht sagen, dass ich "Feinde" habe. Dennoch geht mir diese Forderung der Bergpredigt nach. In ihr steckt für unser Zusammenleben mehr, als es auf den ersten Blick scheint. Wie gesagt: „Feinde" im eigentlichen Sinn habe ich nicht. Aber es gibt Menschen, die mich verletzt haben. Menschen, zu denen ich eine innere Distanz erlebe. Menschen, bei denen ich kein Verständnis spüre. Ich kann es dabei belassen: „Es ist halt so." Aber dadurch wird die Zusammenarbeit oder das Zusammenleben mit diesen Menschen nicht besser, im Gegenteil. Jede Begegnung ist voller Spannungen. Was tun? „Liebt eure Feinde!" - damit fordert Jesus nicht: „Habt die von Herzen lieb, die gegen Euch sind!" Das wäre in der Tat zu viel verlangt. Der Appell ist viel realistischer gemeint: ‚Seid fair denen gegenüber, die Euch gegenüber nicht fair sind! Meint es gut mit denen, die es Euch gegenüber nicht gut meinen.' Es geht um eine positive Grundeinstellung dem anderen gegenüber, auch wenn ich davon bei ihm nicht so viel spüre. Das ist eine innere Haltung, die das Zusammenleben fördert und angenehmer macht. Einem Lehrmeister der christlichen Spiritualität, dem Jesuitenpater Willi Lambert, ist eine gute Idee gekommen, wie man das einüben kann. Er hat es selbst ausprobiert: „Immer, wenn mir jemand einfällt, mit dem ich mir schwer tue, mit dem es Spannungen gibt, dann sage ich seinen Namen - und dazu das Stoßgebet: ‚Gott, er ist in Deinen Augen kostbar.' Das erinnert mich daran: Der andere ist für Gott kostbar und wertvoll - auch wenn ich nicht unbedingt sagen kann, dass er für mich kostbar ist. Und es erinnert mich daran: Auch ich bin für andere nicht immer leicht verdaulich - und doch glaube ich, dass ich für Gott kostbar bin. Das darf dann auch für andere gelten." Je mehr ich lerne, die anderen, gerade auch die unangenehmen Zeitgenossen, so zu sehen, wie Gott sie sieht, desto leichter tue ich mir mit ihnen. „Gott, er ist in Deinen Augen kostbar." - mit dieser Einstellung gelingt es, Gräben zu überwinden.

 

 

https://www.kirche-im-swr.de/?m=11377
weiterlesen...