SWR2 Wort zum Tag

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„Danke, dass du meinem Vater den Krebs weggenommen hast." - Das stand neulich in dem Gebete-Buch, das in unserer Kirche ausliegt. Wenn ich darin blättere und sehe, was Menschen bewegt, die in die Kirche kommen, eine Kerze anzünden und eine Bitte in das Buch schreiben, dann berührt mich das sehr. Dieses Dankgebet fand sich nach einem Rundgang mit den Konfirmanden plötzlich in dem Buch. Wie viel können und müssen Kinder, Jugendliche, Erwachsene tragen, und man sieht es ihnen gar nicht an ... 
In der Biographie über Matthias Claudius, den bis heute überall bekannten Volksschriftsteller und Dichter, lese ich, dass es in dem von ihm so geliebten Leben auch Erfahrungen von Leid, Krankheit und Tod gab. Als 11jähriger erlebte er, wie drei seiner Geschwister an einer Seuche starben. Als er und sein Lieblingsbruder Josias, mit dem er zusammen nach Jena zum Theologiestudium gezogen war, an den Blattern erkrankten, musste er miterleben, wie sein Bruder daran starb, er selbst wurde wieder gesund. Und er musste ertragen, dass zwei seiner sehr geliebten Kinder früher starben als er selbst. In seinen Gedichten und Liedern kommt das Thema „Vergänglichkeit" wie selbstverständlich zur Sprache. Eine Liedstrophe von ihm ist mir besonders wichtig. Sie gehört zu dem Schatz an Texten, den ich auswendig bei mir trage. Ich sage sie, wenn wir bei Trauerfeiern den Sarg oder die Urne aus der Feierhalle hinausbegleiten:

„Der Mensch lebt und besteht nur eine kleine Zeit / und alle Welt vergeht mit ihrer Herrlichkeit. / Es ist nur einer ewig und an allen Enden / und wir in seinen Händen." (1782, Asmus, Vierter Teil). 

Matthias Claudius hat die Gabe, in einer klaren und schlichten Sprache zum Ausdruck zu bringen, dass er sein Leben nicht für selbstverständlich oder für verdient oder für zufällig hält. Er nimmt es dankbar als Gottesgeschenk an. Natürlich hat auch er in seinem Leben Angst, Schmerz, Tod, Krankheit und Bedrohung durch Krieg und Gewalt gekannt. All das kam in seinem Leben vor, und darüber schreibt er auch. Und sieht er sein ganzes Leben, mit allen Erfahrungen von Glück und Leid, als von Gottes Güte umhüllt. So lebt er in allem getröstet - und er lebt gern. Er liebt dieses Leben. Nie spricht aus seinen Gedichten eine Jenseitssehnsucht oder fromme Verklärung. Die Biographen schreiben, er sei bodenständig gewesen, habe mit fröhlicher Zuversicht und zufrieden das Leben angenommen, mit allem Licht und Schatten, den es darin gab. In seinem Abendlied heißt es:

 „Seht ihr den Mond dort stehen? / Er ist nur halb zu sehen / und ist doch rund und schön. / So sind wohl manche Sachen, / die wir getrost belachen, / weil unsre Augen sie nicht sehn."

 Eine solche Gelassenheit wünsche ich mir. Sie lässt sich nicht erschrecken vom Gedanken daran, dass wir endlich und vergänglich. Sondern sie erkennt, dass wir nicht das Ende sind, dass wir nicht das letzte Wort haben - und darum getröstet lachen können.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=11339
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