SWR2 Wort zum Tag

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Heute vor 50 Jahren wurde in den frühen Morgenstunden die Grenze zwischen Westberlin und Ostberlin und der DDR geschlossen. Mit Stacheldraht und Spanischen Reitern wurden die Übergänge von Ost nach West abgeriegelt. Der U- und S-Bahn Verkehr wurde unterbrochen. In den folgenden Tagen ersetzten Bautrupps unter Bewachung die provisorischen Befestigungen durch eine Mauer, an deren Ostseite ein beleuchteter Kontrollstreifen errichtet wurde. Die Bürger der DDR waren eingesperrt. Die Massenflucht über Berlin war nicht mehr möglich. Viele haben in den folgenden Jahren an der Mauer ihr Leben verloren. Aber auf die Dauer konnte diese dem Willen zur Freiheit nicht standhalten. Im November 1989 wurde sie überwunden. Dazu haben auch die Friedensgebete und die gewaltlosen Demonstrationen in Leipzig beigetragen. Es wurde deutlich: Auf die Dauer lässt sich die Sehnsucht nach Freiheit nicht einmauern.
Nach der ersten Begeisterung über die Überwindung der Mauer und die Wiedervereinigung war aber bald von der Mauer in den Köpfen der Menschen die Rede. Die unterschiedlichen Lebensbedingungen und Erfahrungen hatten die Menschen in Ost und West geprägt. Abwehrhaltungen gegen die Anderen waren die Folgen. Man musste erkennen: Es ist ein langer und mühsamer Prozess, wenn zusammenwachsen soll, was zusammengehört. - Eine Mauer im Kopf - heute entdeckt man sie auch, wenn sich einander fremde Kulturen begegnen. Durch unterschiedliche Lebensstile kann sie aufgerichtet werden. In der Kirche gibt es sie, wenn Christen bei anderen Christen unterschiedliche Formen der Frömmigkeit oder unterschiedliche Glaubensüberzeugungen wahrnehmen.
So war es auch zur Zeit des Paulus. Es gab den Zaun zwischen Judenchristen und Heidenchristen, die Mauer in den Köpfen beider Gruppen. Die an ihre Traditionen gebundenen Judenchristen hielten die Heidenchristen für viel zu liberal. Die wiederum fanden ihre Mitchristen hoffnungslos rückständig. Aber - so heißt es im Epheserbrief - der Zaun ist doch abgebrochen! Ihr seid nicht mehr wie durch eine Mauer eingesperrt in eure Erfahrungen und Überzeugungen, unfähig, Andere in ihrer Andersartigkeit anzunehmen. Denn ihr seid mit euren Erfahrungen und Prägungen von Gott angenommen und von ihm wert gehalten - aber die Anderen mit ihrer Art auch. Auch sie sind von Gott wert gehalten und haben dadurch ihre Würde. Wer das weiß, wird frei, die Würde Anderer zu achten, Ihnen Freiheit zur Andersartigkeit zu lassen und sie anzunehmen. Freiheit überwindet Mauern, auch die in den Köpfen.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=11269
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