SWR2 Wort zum Tag

SWR2 Wort zum Tag

Heute ich - morgen du. Vor einigen Wochen habe ich diese beiden Sätze in der Stadtkirche in Sibiu oder Hermannstadt in Siebenbürgen entdeckt. Heute ich - morgen du. Der eine Satz - heute ich - steht oben. Der andere - morgen du -  steht unten. Dazwischen ein Totenkopf. Alles auf einer kleinen Grabplatte, ganz unscheinbar angebracht zwischen meist viel prächtigeren Exemplaren. Heute ich - morgen du. Mitten in Urlaubstagen hat mich diese Botschaft erst einmal erschreckt. Die Nähe zu den anderen steinernen Zeugen des Todes hat ihre Aussage verengt. Und womöglich einen drohenden Charakter verliehen.
Ich finde, es lohnt sich, diesen Satz einfach einmal aus diesem Zusammenhang herauszulösen. Ihn nicht nur als Erinnerung zu verstehen, dass am Ende niemand dem Tod entgehen kann. Ich stelle mir vor, er steht als Spruch auf einer Karte, die mir jemand als Zeichen der Ermutigung hat zukommen lassen. Heute ich - morgen du. Damit könnte der Kartenschreiber meinen: Heute ist es mir gelungen. Morgen kann es schon wieder dich treffen. Es gibt in der Regel kein Dauerabo im Unglück. Es fehlt aber manchmal am langen Atem, der mich in dieser Einsicht durchhalten lässt. Ich weiß: Manchmal ist es nur noch ein kleiner Schritt zur Enttäuschung. Da bin ich mir viel zu schnell sicher: Dieses Mal wird es nichts. Da tauchen plötzlich die vielen Warum-Fragen auf: Warum gerade jetzt nicht? Warum schon wieder nicht? Aber das kann schon morgen anders sein. Heute ich - morgen du. Das Leben hat auch etwas von einem Spiel an sich. Einem manchmal undurchschaubaren Spiel. Aber was mir  wie ein purer Zufall vorkommt, war womöglich mehr. Wenn sich vor mir etwas aufbaut - wenn mir etwas zufällt, aus dem ich etwas machen kann für mein Leben. Selbst für die größten Herausforderungen gilt das. Sogar selbst für den Tod - so, wie es wohl gemeint war von diesem Unbekannten, der sich diese Platte herstellen und aufs Grab legen ließ. Heute ich - morgen - oder besser frühestens morgen - du. Das kann sogar dem Tod etwas von seiner Macht nehmen. Nein, nicht von seinem Schrecken, aber von der Macht, die er manchmal über uns Menschen gewinnen will. Doch am Ende hat der Tod das Leben nicht in der Hand. Zumindest ist das der Inhalt dessen, was unzählige Menschen seit 2000 Jahren als ihren Glauben beschreiben. Gott will es mir gelingen lassen. Vielleicht muss ich den Satz einfach nur umdrehen, wenn ich wieder einmal mit so manchen hadere: Heute du - aber morgen dann vielleicht schon wieder ich. Am besten, ich warte einfach ab.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=11265
weiterlesen...