SWR2 Wort zum Tag

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„Das Betreten des Altarraumes ist ausdrücklich erwünscht!" In einer prächtigen mittelalterlichen Kirche habe ich diese Auforderung entdeckt. Ich gebe zu: Ich war überrascht. Meist steht da anderes zu lesen. „Altarraum betreten verboten!" Oder eine Kordel weist mich darauf hin, wo meiner Neugier Grenzen gesetzt sind.
Eigentlich schade, dass eine ausdrückliche Erlaubnis irritierend wirkt. Betreten der Baustelle verboten. Kein Zutritt für Unbefugte. Achtung: Gefahrenzone. Solche Schilder stehen überall. Und sie stehen häufig auch aus ganz vernünftigen Gründen.
Grenzen dessen, was Menschen tun sollen, gibt es genug. Personen, die in einer Familie einfach totgeschwiegen werden. Probleme im Stadtteil, die man ausblendet, weil die Ursachensuche womöglich politisch Unkorrektes zu Tage fördert. Vorgaben, die nur den Sinn haben, die eigene Macht unter Beweis zu stellen. Nicht jedes Verbot ist von vornherein unsinnig. Häufig schützen Verbote Menschen, die zu schwach sind, für sich selber zu sorgen. Alte Menschen. Kinder. Menschen mit einer Einschränkung. Auch für das Verbot, einen Altarraum zu betreten, gibt es gute Gründe. Ursprünglich stand dahinter die Überzeugung, dass dieser Ort heilig ist. Und dass er deshalb nicht einfach für alle zugänglich sein sollte. Das leuchtet mir schon ein, wenn ich beobachte, dass manche Touristen jedes Gefühl für eine Kirche vermissen lassen.
Trotzdem: Gottes Welt ist keine, die einfach nur mit Verboten funktioniert. Gott eröffnet uns eher Freiräume. Ein Beispiel dafür sind die zehn Gebote. Auch wenn es da immer heißt: Du sollst nicht töten! Du sollst nicht stehlen. Du sollst nicht die Ehe brechen - es sind nicht einfach Verbote. Kein himmlisches Gängelungsprogramm. Gemeint ist allemal: Wenn ich, Gott, es bin, der dein Leben bestimmt, dann hast du gar keinen Grund zu töten. Dann bist du nicht darauf angewiesen, die Unwahrheit zu sagen. Dann kannst Du respektieren, was dem anderen gehört. Der Gottesglaube eröffnet Freiräume. Und setzt dadurch heilsame Grenzen.
Genau das hat mir das Erlaubnis-Schild in der Kirche klar gemacht. Wo ich damit rechne, Gott zu begegnen, ist es ausdrücklich erwünscht, dass ich mich den Orten nähere, an denen ich spüren kann, wie kostbar, ja wie heilig das Leben ist. Und dass jeder Ort mir Gelegenheit verschaffen kann, mutig die Schritte zu setzen, die mich Gott näher bringen. Es ist also ausdrücklich erwünscht, das Leben beim Schopfe zu packen. Es als Chance zu begreifen, Gängelungen zu überwinden. Und von den Möglichkeiten der Freiheit zu kosten.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=11264
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