Anstöße SWR1 RP / Morgengruß SWR4 RP

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Es gibt Anfängersituationen, die vergisst man nie. Ich habe da ein ganz bestimmtes Schlüsselerlebnis. Es war an meinem 18 Geburtstag. Ich hatte schon Monate vorher in einem Ferienkurs den Führerschein gemacht, ihn aber noch nicht erhalten. Das war ja erst mit 18 möglich. Also sind wir, mein Vater und ich, an diesem ganz besonderen Tag zur Kreisverwaltung gefahren, um ihn abzuholen.
Das war eine reine Formsache und ging ruck Zuck. Ausweis vorlegen, Stempel, Unterschrift, Bestätigung und fertig. Keine 5 Minuten.
Und dann raus aus der Amtsstube und hinein ins Leben. Mit Führerschein wirst Du ja erst ein Mensch.
Jedenfalls ist mir das so vorgekommen. Auf dem langen Flur dann, auf dem Weg zum Auto, greift mein Vater in seine Hosentasche und gibt mir wortlos den Autoschlüssel. Ich war geschockt und stolz zugleich.
Auf den letzten Metern zum Auto dann, bekam ich doch weiche Knie.
Wir hatten nämlich steil am Hang geparkt und das Anfahren am Berg war mit Verlaub in der Fahrschule nicht gerade meine stärkste Disziplin.
Hinzu kam außerdem, dass unsere Familie seit ein paar Wochen erst ein kleines neues Auto hatte. Das roch noch so wie am ersten Tag. Und es hatte vor allem noch keinen einzigen Kratzer. Und dann sind wir eingestiegen. Immer noch kein Wort von Vater, kein letzter Wille, keine Ermahnung.
 Zündschlüssel rein, Kupplung getreten, rückwärts raus gerollt, Handbremse angezogen, erster Gang, anfahren... und schon war der Motor abgewürgt.
Aber ich habe alles souverän im Griff, starte neu, fahre los, wie ein Alter und ab nach hause bis in den Hof.
Und unter den Augen der ganzen Familie steige ich aus, mit meiner ganzen Routine, wie ein Berufschauffeur. Und trotzdem bin ich der Ohnmacht verdammt nahe gewesen.
Das habe ich meinem Vater bis heute nicht vergessen.
Und es hat so manche Situation gegeben, in der ich im Umgang mit meinen eigenen Kindern genau daran gedacht habe. Weil es um Vertrauen geht, wenn wir etwas anfangen. Um nichts anderes.
Wachsen und groß werden, das geht nur, wenn es Leute gibt, die uns liebevoll mehr zutrauen, als wir uns selbst, die uns als Risiko nicht einschränken, sondern herausfordern.
Solche Schlüsselerlebnisse sind göttlich. Da werden wir von Gott erschaffen, kommen wir eigentlich erst richtig auf die Welt.  Übrigens ist Anfahren am Berg, bis heute meine Spezialität.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=11219
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