SWR2 Wort zum Tag

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Es gibt Orte, die eine besondere Symbolkraft haben. Die Kathedrale der französischen Stadt Reims, nordöstlich von Paris gelegen, ist ein solcher Ort. Er spiegelt wie kaum ein anderer die Geschichte von Feindschaft und Freundschaft zwischen Franzosen und Deutschen. Jahrhundertelang sind in der Kathedrale von Reims die französischen Könige gekrönt worden. Als Krönungskirche ist sie bis heute ein besonderes nationales Symbol. Gleich zu Beginn des Ersten Weltkriegs wurde diese Kathedrale durch deutsche Granaten schwer zerstört; der Dachstuhl fing Feuer; die Glocken schmolzen, ebenso das Blei vieler Glasfenster. Kaum wieder aufgebaut, wurde sie auch im 2. Weltkrieg erneut in Mitleidenschaft gezogen. Dann der 8. Juli 1962: Der französische Staatspräsident Charles de Gaulle lädt den deutschen Bundeskanzler Konrad Adenauer nach Reims zu einem Akt der Versöhnung ein. An diesem Ort haben beide die neugewonnene deutsch-französische Freundschaft besiegelt. Und 2011, vor wenigen Wochen erst, ein neues Symbol der Versöhnung: Am 25. Juni, zum Beginn der 800-Jahr Feiern der Kathedrale in Reims, sind in zwei Seitenkapellen der Apsis Glasfenster des deutschen Künstlers Imi Knoebel der Öffentlichkeit vorgestellt worden. Auf dem Hintergrund der heutigen Beziehungen zwischen Franzosen und Deutschen kaum der Erwähnung wert. Schaut man aber auf die vorausgegangenen Jahrhunderte währenden Feindseligkeiten und die beiden Kriege im 20. Jahrhundert, ist es immer noch unerhört, wie ein Wunder. „Ich habe die Hoffnung auf ein Wunder nie aufgegeben". Mit diesen Worten hat sich in diesen Tagen in Jerusalem der Abt der Benediktinerabtei Dormitio verabschiedet. Jerusalem ist heute ein Symbol der Unversöhnlichkeit zwischen Israelis und Palästinensern. „Ich erlebe mit Schrecken eine zunehmende Verhärtung der Gesinnungen, die auch im Alltag spürbar ist" - so der scheidende Abt. „Nach wie vor treten viele Menschen für eine friedliche Lösung ein. ... Aber ihre Stimmen sind leiser und mutloser geworden. Ich bin nicht optimistisch für den Friedensprozess, aber ich habe die Hoffnung auf ein Wunder nie verloren". So der Abt. Historische Vergleiche sind immer fragwürdig. Ich weiß nicht, ob man die langwährende, immer wieder und blutig ausgetragene Feindschaft zwischen Frankreich und Deutschland vergleichen kann mit der Feindschaft zwischen Israelis und Palästinensern. Aber die mutige Bereitschaft zu einem Neuanfang in den Beziehungen, die führende Franzosen und Deutsche nach dem zweiten Weltkrieg verbunden hat, lebt auch in Israel und Palästina in vielen Menschen. Vielleicht kann das Wunder der Versöhnung zwischen den ehemals feindlichen Geschwistern in Europa ihre müde werdende Hoffnung stärken.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=11161
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