SWR2 Wort zum Tag

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„Tim durfte nur 15 Jahre alt werden. Zwei Jahre kämpfte er mit schrecklichen Schmerzen durch Krebs. Aber Gott kannte keine Gnade." Diese Todesanzeige lässt  mich nicht los. Wer sie verfasst hat - Eltern, Geschwister, Freunde, Ärzte, Pfleger - wird nicht gesagt. Die Verfasser sprechen vom Leiden und Sterben eines Jungen; und vor allem sprechen sie von ihrer eigenen bitteren Erklärung dafür, dass sein tapferes Kämpfen vergeblich war: „Aber Gott kannte keine Gnade." Enttäuschung und Resignation sprechen aus diesem Satz. Ein junges, gerade erst sich entfaltendes Leben unterliegt im Ringen mit einer heimtückischen Krankheit. Die Frage, warum gerade auch junge Menschen leiden und sterben, ist so alt wie die Menschheit. Auch die Bibel hallt von dieser Frage wider. Eine Antwort gibt es nicht! Hier nun kleiden Menschen ihren Schmerz, ihre Enttäuschung und Klage in Sätze, die klingen, wie wenn sie ein Warum wüssten: „Tim durfte nur 15 Jahre alt werden. Er kämpfte ... Aber Gott kannte keine Gnade". Ein Fünfzehnjähriger, der mutig und mit Ausdauer kämpft, müsste nach menschlichem Ermessen siegen! Warum unterliegt er? Eine berechtigte Frage. Weil es einen ungerechten Richter und Herrscher über Leben und Tod gibt, der keine Gnade kennt: der Junge durfte nur 15 Jahre alt werden. Das ist die Erklärung, die zutiefst verletzte Menschen finden, welche die Niederlage miterlebt haben. In den Gebeten und Liedern Israels, den Psalmen, klagen Menschen gegen Gott, weil sie sein Wirken nicht verstehen. Hier ist es anders: Die mit Tim gelitten und gekämpft haben, schreien nicht zu Gott, sie fragen nicht: „Warum lässt du das zu?" Nein, in ihrem hilflosen Zorn haben sie ihre Antwort gefunden und die heißt: Es gibt einen Willkürherrscher. Seine Gerichtsurteile stehen unveränderlich fest. Menschen sind ihm ohnmächtig ausgeliefert. Der Richter, der keine Gnade kennt, wird „Gott" genannt. Diese bittere Erklärung für den Tod des Jungen ist nur zu verständlich. Und: Keiner möchte sie einfach abtun. Dennoch: Menschen in der Bibel klagen, sie klagen an, fragen und bitten - und bleiben dabei; sie lassen nicht ab davon. Sie erklären nicht. In ihrer Klage richten sie sich an ein Geheimnis, mit dem sie sie ringen und kämpfen. Sie wenden sich ihm zu, suchen sein Antlitz - so nennen das die Psalmen. Für Christen hat das Geheimnis, das unergründlich ist - und bleibt, ein menschliches Antlitz gefunden. Jesus von Nazareth hat gelebt und gelitten, ist viel zu früh einen ungerechten Tod gestorben; an seiner Gegenwart nach seinem Tod haben sie erkannt, dass Gott durch den ungerechten Tod hindurch das Leben rettet.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=11160
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