SWR2 Wort zum Tag

SWR2 Wort zum Tag

Unser Vorrat an gelben Säcken geht zur Neige. Wir müssen bald beim Bürgerbüro vorbeigehen und neue holen. Bis vor kurzem blieb uns dieser Extraweg erspart. Das hat mit Frau Herbst - so will ich sie hier nennen - zu tun.
Frau Herbst ist vor einigen Monaten gestorben. Sie hat im Laufe ihres Lebens viel durchgemacht, hatte wohl auch nicht immer ein Dach über dem Kopf. Das setzt dem Körper zu. In den letzten Jahren hat sie in einer kleinen Wohnung in einem der Wohnblocks in der Nähe gewohnt. Sie hatte nicht viel zum Leben, und ab und an hat  sie Unterstützung gebraucht.
In den letzten Jahren war sie krebskrank. Aber trotz Schmerzen und Müdigkeit war sie dauernd auf den Beinen, meist mit ihrem Einkaufstrolley und einem Tuch über die von der Chemotherapie dünn gewordenen Haare. Denn Unterstützung hat Frau Herbst nicht angenommen, ohne sich dafür irgendwie zu revanchieren. Ihr gut geknüpftes Beziehungsnetz war dabei sehr hilfreich. Eine ihrer Bekannten hat beim Bäcker gearbeitet und konnte abends die Restware mitnehmen. Am Tag darauf stand Frau Herbst mit einer riesigen Tüte Backwaren an der Pfarrhaustür - in der Gemeinde werde dafür schon Verwendung sein. Und auch ins Bezirksrathaus hatte sie ihre Verbindungen. Bei jedem Besuch durfte sie ihren Einkaufstrolley mit gelben Säcken füllen, die sie dann großzügig weiterverteilt hat. Ein echter Service!
Jetzt ist Frau Herbst an ihrer Krebserkrankung gestorben. Erst einige Wochen später haben wir es erfahren. Einen Nachruf hat bei der Beerdigung wohl niemand gehalten. Deshalb hole ich es hier nach.
Zugegeben, ein Radioandacht ist ein ungewöhnlicher Ort für einen Nachruf auf einen gewöhnlichen Menschen. Mir ist es aber ein Anliegen. Weil ich denke, dass eigentlich jeder Mensch als Gottes Geschöpf bedeutsam genug ist, um an ihn in dieser Weise noch einmal zu erinnern. Und weil ich finde, dass es gut tut, daran zu denken, wie Frau Herbst war. Wie sie sich trotz ihrer schwierigen Lebensumstände die Würde nicht hat nehmen lassen. Und wie sie Wege gefunden hat, anderen zu helfen, auch als sie selbst hilfsbedürftig war.
Sie selbst, darauf vertraue ich, ist jetzt in Gottes Hand. Bei ihm ist sie nicht vergessen. Aber hier ist es an uns, die Erinnerung zu bewahren. Und damit zu zeigen, dass jedes Leben seine Würde und seinen eigenen Wert hat.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=11150
weiterlesen...