SWR2 Wort zum Tag

SWR2 Wort zum Tag

Als ich alte Dokumente aufräumte, fand ich eine Kassette, die wir anlässlich einer Familienfeier aufgenommen hatten. Ich hörte hinein, und es hat mich sehr berührt, die Stimmen von einigen Onkeln und Tanten wieder zu hören, die inzwischen gestorben sind. Der Klang ihrer Stimme brachte sie mir noch einmal ganz nah - ja, so hatten sie gesprochen, ich sah sie wieder vor mir im vertrauten Wohnzimmer meiner Großeltern, das es längst nicht mehr gibt.
Eine vertraute Stimme hören - über die Grenze des Todes hinweg. Frühere Zeiten hatten diese Möglichkeit nicht. Und doch konnten Menschen den Klang einer vertrauten Stimme im inneren Ohr bewahren: Sätze, die jemand zu Lebzeiten gesagt hatte, behielten diesen besonderen Klang. Und wenn man sie wiederholte, dann war der, der sie einst gesprochen hatte, ganz nah. Ich vermute, dass das auch mit Jesus so war. Seine Worte hatten viele Menschen mitten ins Herz getroffen. Und als er nicht mehr unter ihnen war, erinnerten sich seine Jünger daran, was er zu ihnen gesagt hatte, etwa an das: „Sorgt euch nicht um euer Leben, was ihr essen oder trinken sollt, noch um euren Leib, was ihr anziehen sollt. Ist nicht das Leben mehr als die Speise und der Leib mehr als die Kleidung.  Seht die Vögel des Himmels an! Sie sähen nicht und ernten nicht und sammeln nicht in Scheunen und doch ernährt sie euer himmlischer Vater.  Seid ihr nicht viel mehr wert als sie?..." 
In diesen und anderen Worten wurde Jesus mit seiner Art zu leben und mit seinem Gottvertrauen wieder lebendig. Die ersten Christen sammelten daher die Worte Jesu. Man schrieb sie auf, um sie nicht zu vergessen.  Man las sie sich vor und gab sie an andere Gemeinden weiter. Diese gesammelten Worte Jesu wurden später zu einer der Quellen, aus denen die Evangelien entstanden. Bis heute sprechen sie uns an - frisch und unmittelbar. Da wird keine Lehre vorgetragen und kein Masterplan für die Kirche vorgestellt. Jesu Worte zeugen davon, dass er mit Menschen im Gespräch war, von seiner Schlagfertigkeit und seinem unverstellten Blick auf die Wirklichkeit. Er sprach kein Kirchenlatein, auch kein gewähltes Griechisch, nicht einmal hebräisch, sondern aramäisch - den galiläischen Dialekt seiner Heimat. „Abon dbaschmajo (Vater Unser im Himmel) netqadasch schmok" (geheiligt werde dein Name) 
Für mich schwingt darin der Klang seiner Stimme mit. Eine Stimme, die nah am Herzen Gottes wohnt.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=11138
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