SWR2 Wort zum Tag

SWR2 Wort zum Tag

Ich brauche eine Pause, lebenswichtig ist das. Wer mir das erklärt hat? Mein Atem. Der macht nämlich auch eine Pause, zwischen Ein- und Ausatmen, ein kurzes Innehalten. Probieren Sie einmal aus wie es ist, pausenlos ein- und auszuatmen. Das ist nicht auszuhalten, richtig kurzatmig werde ich da, komme aus dem Rhythmus. Das ist schon spannend, dass mein Atem mich lehrt, eine Pause zu machen, um im Rhythmus zu bleiben! Man könnte ja vermuten, dass eine Pause mich aus dem Lebens- und Arbeits-Rhythmus bringt. Doch gerade umgekehrt wird ein Schuh draus. Mag sein, dass Maschinen pausenlos arbeiten müssen. Menschen brauchen Pausen zum Leben - und zum Arbeiten.
Merkwürdigerweise halten Menschen Pausen jedoch schwer aus. Mir fällt das immer in der Oper auf, wenn der Applaus schon in die letzten Takte hineinbrandet. Bei einer italienischen Nummernoper mag das noch angehen, bei einem zarten Debussy geht es mir gehörig auf die Nerven, noch schlimmer nach Isoldes Liebestod, so wie ich es neulich in der Oper Frankfurt erlebt habe, das ist regelrecht barbarisch. Es ist, als ob der Musik die Aura abgeschnitten, die Möglichkeit genommen wird, nachzuklingen: Im Raum, in mir. Dabei beginnt jedes Konzert sogar mit einer Pause, diesem ganz kurzen Moment, wenn der Dirigent oder die Dirigentin den Taktstock hebt und zögert, bevor er oder sie den Einsatz gibt.
Ich glaube, dass es zur Kunst des Lebens gehört, Pausen zu machen. Eine noch höhere Kunst ist es jedoch, diese Pause richtig einzugrenzen. Eine grenzenlose Pause ist ja keine Unterbrechung mehr, sondern ein Dauerzustand. Schon Pausen, die zu lang dauern, erfrischen nicht, sondern machen mich träge und faul. Tödlich langweilig wäre eine Dauerpause, möglicherweise der Tod selbst, genauso unerträglich wie pausenlose Arbeit. Wie lang darf, wie kurz muss meine Pause sein?
Mystiker aller Religionen haben dem Atem ihre große Aufmerksamkeit geschenkt. Sie wussten, dass sie atmend Gott nahe kommen. Ich glaube, dass Gott uns den Atem als Lehrmeister geschenkt hat, oder als Lehrmeisterin, im Hebräischen ist sie ja weiblich, die ruach. Wenn ich auf meinen Atem achte, dann kann ich spüren, wie viel Pause ich brauche - damit mich nach atemlosen Zeiten mein Atem wieder ruhig und selbstverständlich durchfließt, mir Kraft gibt, um mich neu, inspiriert, an mein Tagwerk zu machen und dabei einen langen Atem bewahren zu können.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=11028
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