SWR2 Wort zum Tag

SWR2 Wort zum Tag

Das Geheimnis Gottes ist uns ganz nah - bei jedem Atemzug. Mir gefällt dieser Vergleich Gottes mit dem Atem, weil mir mein Atem einerseits ganz vertraut ist - und auf der anderen Seite unverfügbar. So wie ich viele Gottesworte aus der Bibel kenne und doch weiß, dass ich Gott nie fassen kann - so wie meinen Atem. Wenn ich schlafe, wenn ich mich auf meine Arbeit konzentriere oder einen Kinofilm anschaue, dann atme ich einfach, ohne darüber nachzudenken. Wenn ich mit anderen im Chor singe oder im Fitness-Studio an den Geräten achte ich bewusst auf meinen Atem.
Manchmal lege ich meine Hände auf meinen Bauch und staune darüber, wie selbstverständlich mein Atem meinen Leib bewegt. Dann kann ich nachvollziehen,  was die Bibel erzählt: Dass Gott dem ersten Menschen seinen Atem einhauchte. Ich finde es eine wunderschöne Vorstellung, dass Gottes Atem mich bewegt und meinen Körper durchströmt. So nah kommt Gott mir, wie mein eigener Atem, und doch habe ich ihn nicht im Griff, kann staunen über seine fremde Kraft.
Manchmal stockt mir der Atem vor Schreck über diese Welt, vor Angst. Manchmal zeigt mir mein Atem vor meinem Verstand, dass ich mich nicht wohl fühle, er wird eng und gepresst, meine Stimme zittert. Er sagt mir viel, mein Atem, wenn ich auf ihn höre, so wie Gott mir viel sagt, wenn ich mir Zeit nehme, ihm zu lauschen.
Die Ferienzeit jetzt wird für mich eine Zeit des Aufatmens sein, hoffe ich, eine Zeit ohne berufliche Verpflichtungen, mit bezaubernden Abenden am Meer, die Sonne versinkt, ich laufe am Strand, mit langem Atem. Ich merke, dass ich solche Atempausen brauche, für mich, für die Menschen, die ich liebe, für meinen Gott, damit ich nicht atemlos an mir und ihnen vorbei lebe.
Die Abendsonne am Meer erinnert mich daran, dass ich eines Tages mein Leben aushauchen werde. Irgendwann kommt mein letzter Atemzug.
Ein alter Pater hat mir erzählt, für ihn sei jeder Atemzug wie der Name Gottes. Ein Hauch, der Name Gottes. So dass wir, von unserem ersten bis zu unserem letzten Atemzug Gott anrufen, seinen Namen beten. Mein erster Atemzug, mag sein, als Schrei, ein Gebet. Mein letzter Atemzug, vielleicht ein schwacher Seufzer, der mein Leben aushaucht hinein in Gottes unfassbare Wirklichkeit.
In meiner Atempause am Meer werde ich darüber nachdenken. Dankbar für die würzige Seeluft, die ich dabei atmen darf, dankbar für das Leben, das er mir eingehaucht hat.

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