SWR2 Wort zum Tag

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Du bist mein Augenstern - so sagt man, wenn man einen Menschen liebhat, wenn man auf ihn achtet. Mit "Augenstern" kann man das lateinische Wort pupilla übersetzen, die Pupille also, das Innerste unseres Auges. Die Pupille ist mein Fenster zur Welt. Sie ist aber auch der Spiegel, in dem ich mich selbst sehen und erkennen kann - im Auge eines anderen.
Das Wort Pupille hat eine spannende Geschichte.
Ursprünglich heißt es nämlich: kleines Mädchen oder Puppe.
Ich sehe mich selbst, wenn ich etwa meiner Frau in die Augen schaue, aber ich sehe mich nicht in Lebensgröße, sondern als kleines Wesen, in Puppengröße.
So kann ich mich in den Augen eines Menschen selber erkennen, zumindest einen Teil meiner Wirklichkeit. Nicht nur groß und stark und männlich, sondern auch klein und schwach - ein kleines Menschlein, ein Wesen, das noch im Werden begriffen ist.
In einem noch tieferen Sinne erkenne ich mich, wenn ich Gott in die Augen schaue.
Ich kann das tun, wenn ich die Bibel lese. Die Bibel ist an manchen Stellen wie ein Spiegel.
Viel mehr noch als die Augen eines Menschen sagt sie mir, wer ich in Wirklichkeit bin.
Zugleich verrät sie mir ein Stück von Gottes Wesen. Sie zeigt mir, wie liebevoll er sich den Menschen zuwendet. Wie achtsam und empfindlich er sein kann.
Er behütete sein Volk wie seinen Augenstern, heißt es da an einer Stelle. Er fand dieses Volk in der Wüste, in dürrer Einöde sah er es barmherzig an.
Gottes Augen sind so gut, so wachsam, dass sie das Ärmste und Verlorene, ja auch das dem Tod Geweihte nicht übersehen. In der Bibel ist damit in erster Linie sein erwähltes Volk Israel gemeint. Aber zu diesem Volk gehörte ja auch eine junge Frau, Maria, die Mutter Jesu.
Auf sie hatte Gott in besonderer Weise ein Auge geworfen. Er hat die Niedrigkeit seiner Magd angesehen - so singt sie in ihrem Lied.
Gottes Augenstern und Augapfel - das sind vielleicht auch die, die sich dort, inGottes Augen gar nicht vermuten würden. Ich denke an das schwer behinderte Kind, dem ich manchmal begegne.
An die alten, einsamen Menschen, auch an die Sterbenden. An alle, die ihren Glauben verloren haben, die nach Trost und Hoffnung suchen.
Ich denke auch an die Superschlauen, die Überheblichen, die nur ein müdes Lächeln für Gott übrig haben. Ja. Er achtet auch auf sie.
In Gottes Pupilla werden die Großen ganz klein und die Kleinen ganz groß.
Schon deshalb macht es für mich Sinn, mit diesen Augen zu rechnen und immer wieder einen Blick hineinzuwerfen.

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