Anstöße SWR1 RP / Morgengruß SWR4 RP

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Manchmal haben die Radiohörer lustige Ideen. Am Wochenende war ich zu einem Abendessen eingeladen. Da sitzt doch ein Hörer neben mir und schlägt mir vor, dass ich mal im Radio sage: „Liebe Hörerinnen und Hörer, wie wäre es mal mit einem Tag ohne Sünden."
„Geht nicht", habe ich ihm geantwortet. „Erstens spreche ich meine Hörer so nicht an. Und zweitens: Kein Mensch kann einen Tag ohne Sünden verbringen."
„Wieso nicht?" fragt er weiter.
„Naja," sage ich, „streng genommen gehören auch die finsteren Gedanken zur Sünde. Also, selbst wenn ich es schaffe, einen ganzen Tag lang streng nach den Geboten Gottes zu leben - und das ist schon ganz schön schwierig - spätestens in meiner Gedankenwelt werde ich mich dabei ertappen, etwas zu denken, was ich nicht denken will. Und je mehr ich mich darauf konzentriere, bestimmte Gedanken nicht zu haben, desto mächtiger werden sie. Ich werde Neidgedanken haben. Und ich werde Urteile über andere fällen. Ich kann gar nicht anders."
„Wozu gibt es denn dann die Gebote überhaupt?" fragt er.
„Die Gebote sind wichtig und gut für unser Zusammenleben. Aber wir werden auch an ihnen scheitern. Und das soll uns daran erinnern, dass wir nicht aus eigener Kraft vor Gott gerecht werden können. Wir sind darauf angewiesen, dass Gott Gnade vor Recht ergehen lässt."
„Warum tut er das? Warum ist er gnädig?" fragt er. „Manche haben doch wirklich etwas anderes verdient."
„Gott ist gnädig, weil er seine Menschenkinder liebt. Auch die Schlimmen.
Der ärgste Feind von Jesus war die Selbstgerechtigkeit. Menschen, die davon überzeugt sind, alles richtig zu machen und deshalb mit andern keine Nachsicht üben. Selbstgerechtigkeit macht die Menschen lieblos und hart. Nur wer sich selbst eingesteht, dass er Fehler macht und an den eigenen Ansprüchen scheitert, kann das auch anderen zugestehen."
Mein Gesprächspartner sieht mich an und überlegt. Dann sagt er:
„Wenn das so ist, finde ich meine Idee mit dem sündenfreien Tag ja noch viel besser: Nämlich zur Bekämpfung der Selbstgerechtigkeit."
„Na, gut. Also: Liebe Hörerinnen und Hörer, wie wäre es mal mit einem Tag ohne Sünden?"

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