SWR4 Abendgedanken BW

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Es ist fast sprichwörtlich geworden: Der Geist weht, wo er will.
Das kann man bedauernd sagen, wenn bei einer Veranstaltung der Funke nicht übergesprungen ist. „Tja, der Geist weht eben, wo er will!"
Man kann es voll Freude sagen, wenn Menschen sich gegen geistlose Zustände wehren und wenn sich viele davon anstecken lassen. „Zum Glück weht der Geist, wo er will. Zum Glück lässt er sich nicht einsperren. Er ist wie der Wind."
Aber was will der Geist, wenn er weht?
Wenn Gottes Geist gemeint ist, der Heilige Geist, dann will er eines auf alle Fälle:
Verstehen und Gemeinschaft.
Im Neuen Testament, am Anfang der Apostelgeschichte wird erzählt, dass die ersten Christen zu Pfingsten erleben: wir können in aller Öffentlichkeit darüber reden, was an Ostern geschehen ist, dass Gott nämlich gezeigt hat, Jesus hatte recht. Jesus hat im Namen, im Auftrag Gottes geredet und gehandelt. Wenn man die Worte und Taten Jesu und sein Leiden und Sterben bedenkt, kann man Gott am deutlichsten kennen lernen.
Und die Menschen, die den ersten Christen zuhörten, Menschen aus aller Herren Länder, merkten mit Erstaunen: Wir können sie verstehen über alle Sprachgrenzen hinweg.
Die weitere Geschichte hat dann leider gezeigt, dieses Pfingstwunder, das Verstehen über alle Grenzen hinweg, war nicht von Dauer.
Es kamen Zeiten, da hat man vor allem auf die Unterschiede geachtet und sich voneinander abgegrenzt und sich gegenseitig bekämpft.
Und manche haben dann das Wehen des Geistes schmerzhaft vermisst.
Denn sie wussten ja von der Erfahrung von Pfingsten: Wo der Heilige Geist ist, da können wir einander verstehen.
Zum Glück oder „Gott sei Dank" gibt es solche Erfahrungen immer wieder.
Wenn ich als Klinikseelsorger Menschen anderer Religionen besucht habe, überkam mich oft ein Gefühl von Nähe.
Ist nicht das, was der andere in seinem Glauben erfährt, dem nahe, was ich in meinem Glauben erfahre? Es muss nicht Übereinstimmung sein, aber doch Nähe oder so etwas wie Nachbarschaft. Gute Nachbarschaft: Man kennt sich, respektiert sich, hilft sich gegenseitig und gelegentlich feiert man auch zusammen.
Der Geist weht, wo er will. Wir können nicht über ihn verfügen. Aber man kann ihm die Tür öffnen oder die Fenster. Man kann sein Herz öffnen für die Geschichten, die er uns erzählen will und für die Menschen, die uns begegnen.
Und manchmal denkt man dann staunend: Der Geist weht ja nicht nur in unserer Kirche, nicht nur in unserer Religion! Er weht, wo er will.

 

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