SWR4 Sonntagsgedanken

SWR4 Sonntagsgedanken

- Wenn Menschen die gleiche Sprache sprechen

Es gibt Menschen, die sprechen die gleiche Sprache wie ich. Wir verstehen uns, ohne dass wir viele Worte machen. Instinktiv spüren wir, was den anderen bewegt. Dass das so ist, ist eine Wirkung des Heiligen Geistes. Von ihm heißt es, dass er am Pfingstfest über die Menschen in Jerusalem kam und sie tröstete. Aus ihrer Trauer nach dem Tod Jesu wird Zuversicht und Freude. Sein Versprechen, dass er ihnen seinen Geist senden wird, ist am Pfingstfest Wirklichkeit geworden. Die Kraft des Geistes führt dazu, dass sie sich taufen lassen und aller Welt davon erzählen müssen.
Wenn mir in einer scheinbar ausweglosen Situation plötzlich ein Licht aufgeht und ich die Lösung für ein Problem habe, dann kann auch ich die Wirkungen des Geistes in meinem Leben spüren. Auch meine Fähigkeiten und Begabungen sind solche Wirkungen des Geistes. Sie machen mich einzigartig und unverwechselbar. Und wenn ich traurig oder einsam bin, dann tröstet mich der Geist und gibt mir neue Kraft. So habe ich es in meinem Leben immer wieder erlebt. Das gilt auch für die Begegnung mit anderen Menschen: Solche Begegnungen bleiben nicht folgenlos. Sie verändern mich. Und manchmal passiert es, dass aus einer solchen Begegnung heraus eine Begeisterung entsteht, in der ich über mich selber hinauswachse.
Am Pfingstfest kommt etwas in Bewegung, auch heute noch. Menschen werden zusammen geführt, die kaum etwas miteinander zu tun hatten. Das gilt damals wie heute. Und es gilt auch dann noch, wenn mein Leben alles andere als leicht und unbeschwert ist. Z.B. dann, wenn ein Mensch gestorben ist, der mir viel bedeutet hat.
Ich denke an einen Mann, der auf tragische Weise bei einem Autounfall gestorben ist. Als es passiert, ist er geschäftlich im Ausland unterwegs. Seine Familie ist weit weg, daheim in der Nähe von Mainz. Ihnen wird die Nachricht übermittelt. Für sie bricht eine Welt zusammen. Die Ehefrau und die Kinder möchten gerne bei ihm sein, dem Ehemann und Vater. Möchten ihm gerne die Hand halten und ihm all ihre Fürsorge und Liebe zukommen lassen. Aber jetzt, in diesem Augenblick, können sie nichts tun. Ihr Glaube hilft ihnen. Deshalb beginnen sie zu beten. Später werden sie sagen, dass ihnen das Gebet Kraft gegeben habe. „Wir haben Gottes Geist gespürt", sagt die Frau. „Ohne ihn wären wir vermutlich verzweifelt."
Trotzdem gibt es da auch quälende Fragen bei ihnen, die niemand beantworten kann: Hätte man selbst es verhindern können? Hätte Gott es verhindern können? Und wenn ja: Warum hat er es nicht getan? Quälende Fragen! Sie lähmen. Aber Ohnmacht und Verzweiflung haben nicht das letzte Wort. Sie sind nur vorläufig. Gottes Geist verwandelt sie. Ein Neubeginn ist möglich. Nicht jetzt sofort, nicht gleich. Aber nach einiger Zeit! Gottes Geist hilft uns, dass wir weitergehen durchs Leben mit allen Menschen, die uns begleiten.
Der Pfingstmontag hat die praktischen Auswirkungen des Heiligen Geistes im Blick. Dass Menschen anderen Menschen gut zuhören können und z.B. in Zeiten der Trauer an ihrer Seite sind, ist eine solche Wirkung des Geistes. Sie sprechen die gleiche Sprache, ohne dass sie viele Worte machen brauchen. Es ist die Sprache der Liebe, die sie miteinander verbindet. Der Geist bewegt und befreit - aus all den Gefängnissen des Lebens, die uns einengen und resignieren lassen.
Das Schicksal des Mannes und Familienvaters, der auf so tragische Weise ums Leben gekommen ist, geht mir noch lange nach. Genauso wie all die anderen Schicksale, die mir in meiner Arbeit als Gemeindepfarrer begegnen. Auch die, die ich aus meinem eigenen Leben nur allzu gut kenne. Ich frage mich: Warum müssen Menschen diese Erfahrungen machen? Warum stirbt ein Mann in den besten Jahren und hinterlässt Ehefrau und Kinder? Es sind Fragen, die sich wohl jeder stellt: Weshalb musste das geschehen? Und wer oder was gibt diesem Geschehen einen Sinn?
„Hoffnung ist nicht die Überzeugung, dass etwas gut ausgeht, sondern die Gewissheit, dass etwas Sinn hat, egal wie es ausgeht", hat Vaclav Havel einmal gesagt. Was für ein Satz! Ich verstehe ihn erst einmal so: Es gibt Ereignisse im Leben, die viele Fragen provozieren. Wie der Tod eines Familienvaters. Gottes Geist hilft, diese Fragen nicht beiseite zu schieben, sondern sie auszuhalten. Gottes Geist hilft, unser Leben weiterzuleben in der Gewissheit, dass Gott alle unsere Fragen beantworten wird und dass nichts im Leben sinnlos ist.
Vor kurzem schrieb mir der Bruder des Verstorbenen einen Brief. Später haben wir miteinander telefoniert. Ich merkte, wie gefasst er ist. Er bittet mich, für seinen Bruder und ihn selbst zu beten. Ich tue es. Ich bin überzeugt: Gottes Geist hat uns zusammen geführt. Ich tue das, was ich tun kann, um seine Not ein wenig zu lindern. Ich tröste ihn. Und er nimmt den Trost an. Auch hier spüre ich: Wir sprechen die gleiche Sprache! Alles, was uns trennen könnte, verliert in diesem Moment seine Bedeutung. Am Ende unseres Gesprächs sagt er: „Ich bin fest davon überzeugt, dass ich meinen Bruder irgendwann wiedersehen werde." Auch das eine Wirkung des Geistes!
Das wünsche ich mir: dass der Geist Gottes alle Dunkelheiten des Lebens verwandelt. Dass er sie hell macht und ich lernen kann, sie als Teil meines Lebens zu akzeptieren und sie anzunehmen.
Wir feiern Pfingsten. Die Apostelgeschichte im Neuen Testament erzählt, wie der Geist Gottes vor 2000 Jahren in Jerusalem ausgegossen wurde auf alle Menschen und sie von einem auf den anderen Moment verwandelte.
Ihre Trauer nach dem Tod Jesu am Kreuz wich der Freude. Aus Not und Angst wurden Hoffnung und Zuversicht. Gottes Geist bestärkte sie, gab ihnen Kraft, Ja zu sagen zu ihrem Leben, so wie es war. Gottes Geist führte sie zusammen zu einer großen Gemeinschaft. Und das passiert bis heute, wenn sich Menschen nicht nur sonntags in der Kirche zum Gottesdienst versammeln, sondern sich auch werktags aus ihrem Glauben heraus für andere Menschen einsetzen und engagieren. Die sich um sie kümmern und ihnen zur Seite stehen.
Gottes Geist begeistert. Auch heute noch. Menschen wachsen über sich selbst hinaus. Und sie tun es mit einem solchen Enthusiasmus, dass sie sich fragen, woher sie eigentlich für all das die nötige Kraft bekommen. Ich bin überzeugt, Gottes Geist ist es, der ihnen diese Kraft gibt.
Der Geist Gottes kann auch uns anrühren und in Bewegung setzen. Ich kann die Gegenwart des Heiligen Geistes auch für mich erwarten - trotz aller Sorgen und Probleme, die mein Leben bestimmen. Die Gegenwart des Heiligen Geistes macht mir Mut. Der Heilige Geist bringt Menschen zusammen und lässt sie die gleiche Sprache sprechen.
Ein gesegnetes Pfingstfest!

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