SWR2 Wort zum Tag

SWR2 Wort zum Tag

Nicht wenige wenden sich ab oder treten aus, andere emigrieren innerlich, manche pfeifen sich Mut zu wie beim Hinuntergehen in den dunklen Keller. Trotzige Schönfärberei oder resignative Schwarzseherei bringen keine Lösung. Weiterhelfen kann aber eine kostbare Unterscheidung, Und die findet sich im Glaubensbekenntnis der Kirche selbst. Da heißt es nämlich, genau übersetzt und gut verstanden: „Ich glaube an Gott - ich glaube die Kirche." Wer sich als Christ verstehen darf, verlässt sich demnach allein auf den lebendigen Gott und seine Güte. Er glaubt nicht an die Kirche, nein: mittels, dank und trotz der Kirche richtet sich der Glaube an Gott allein. Niemals soll Kirchliches im Zentrum stehen.
Wichtig also ist die Kirche als Ausdruck und Vermittlung des Glaubens. Christsein geht nicht auf eigene Faust und nicht isoliert. Ich mit meinem Glauben verdanke mich denen, die vor mir geglaubt haben und denen ich glaube. Auf den Namen Jesu Christi bin ich von anderen getauft worden, niemals kann ich mir ein Sakrament selbst spenden. Ich verdanke mich dem Lebensstrom der Kirche in meinem Glauben, Hoffen und Lieben. Nicht wenige haben deshalb den Vergleich mit der Mutter vorgeschlagen: So wie ich meiner Mutter das Leben verdanke, so verdanke ich der Kirche den Glauben. Aber ich kann mich nicht ein Leben lang auf meine Mutter herausreden, ich soll und will und darf mein unverwechselbar eigenes Leben riskieren. Ich kann mich auch als Christ nicht dauernd auf die Mutter Kirche herausreden. Erwachsen-werden heißt: Unmittelbar zu Gott und in Gemeinschaft mit ihm das eigene Leben in der Nachfolge Christi zu wagen. Nichts ist heute wichtiger als diese Abenteuerstruktur des Glaubens, diese Lust, ich selbst zu werden, unverwechselbar und erwählt im Namen Gottes und in seiner Gnade.
Ich glaube an den lebendigen Gott, so lautet das uralte Bekenntnis aller christlichen Konfessionen. Ich glaube die Kirche - eben als kostbares Netzwerk, als unglaubliches Anregungspotential, als Gemeinschaft derer, die vor mir geglaubt haben, und dank derer ich glauben darf. Aber ich glaube nie an die Kirche, denn sie ist eine Gemeinschaft von Menschen, sie ist ein Acker voll Unkraut und Weizen, sie ist der Ort göttlicher Gegenwart in allzu menschlicher Gestalt. Gerade in kirchlichen Krisenzeiten ist diese Unterscheidung hilfreich. Könnte die offenkundige Kirchenkrise heute nicht dazu führen, dass wir genauer unterscheiden zwischen dem Kern des Christlichen und seinen kirchlichen Erscheinungsformen? Dann wäre die gegenwärtige Kirchenkrise eine gigantische Herausforderung, das Evangelium selbst neu zu entdecken und den Schatz, den wir Gott nennen.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=10819
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