SWR2 Wort zum Tag

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Am Sonntag ist Pfingsten, und wieder stellt sich die Frage nach dem Heiligen Geist. Was würde der Evangelist Lukas, der erzählt hat, wie der Heilige Geist in Feuerzungen auf Maria und die Apostel herabgekommen ist, was würde der heute schreiben? Bestimmt würde er bekräftigen, dass der Heilige Geist auch heute da ist. Nicht als Wunderwaffe, sondern als ständiger Appell an uns, wo wir denken und entscheiden. Das ist nämlich einer der Grundgedanken des biblischen Glaubens an den Heiligen Geist. Gott ist da, auch nach dem Tod und der Himmelfahrt Jesu.
Mich hat vor ein paar Tagen ein Pfingstbild aus dem 17. Jahrhundert auf eine Spur gebracht. Es ist eine Ikone, ein liturgisches Bild aus der Ostkirche, und zeigt eben jene Geschichte von den Aposteln und den Feuerzungen, die Lukas erzählt. Da sitzen sie, die Apostel an Pfingsten, und mitten unter ihnen einer, der gar nicht dabei war: Paulus kam erst eine Weile später dazu, nachdem er zunächst die ersten Christen blutig verfolgt hatte. Paulus hat außerdem heftige Konflikte in Gang gebracht. Er war, etwas plakativ gesagt, der Neuerer in der frühen Kirche und hat sich mit dem Chefapostel Petrus heftig gestritten. Mir sagt dieses Bild: Der Heilige Geist war nicht nur beim allerersten Pfingstfest wirksam, bei denen, die unmittelbar dieses Pfingstfest erlebt haben. Das macht mir Hoffnung für uns heute. Und: er hat die unterschiedlichsten Leute inspiriert. So wie Petrus und Paulus da gemeinsam unter dem Feuer des Heiligen Geistes sitzen, heißt das doch: auch Verschiedenheit in wichtigen Fragen, auch Auseinandersetzung und Ringen sind vom Heiligen Geist inspiriert. Wenn, ja wenn alle, die da streiten, ihren gemeinsamen Bezugspunkt nicht vergessen. Der Künstler des alten Pfingstbildes hat in der Mitte einen Platz leer gelassen - leer gelassen ganz offensichtlich für Jesus. Wenn ich die Geschichte des Lukas und diese alte Pfingstikone zusammen sehe, kann das bedeuten: Im Heiligen Geist appelliert Gott beständig an unsere besten Kräfte, die Kräfte zum Denken, Gestalten, Streiten und Versöhnen. Der Heilige Geist bewegt dazu, in Fragen des Glaubens und der Wahrheit nicht aufzugeben, sondern zu ringen, Neues zu denken und zu versuchen. Und sich dabei zusammenbinden zu lassen von dem leeren Platz in der Mitte. Vielleicht ist es gerade der Heilige Geist, den die Kirchen heute unserer Gesellschaft schulden: der lange Atem in kontroversen Fragen, der aus dem Glauben an einen lebendigen Gott kommt.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=10781
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