SWR2 Wort zum Tag

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Ein wichtiges Bild in vielen Religionen ist das Bild vom Weg. So findet sich in der Bibel im Buch der Sprüche folgender Text: „ Drei Dinge sind mir unbegreiflich, viererlei kann ich nicht fassen:  den Weg des Adlers am Himmel, den Weg der Schlange über den Felsen, den Weg des Schiffes auf hoher See, den Weg des Mannes bei der jungen Frau" (30,19). Hier ist der Weg ein Bild für das Geheimnis des Lebens bei Menschen und Tieren. Wie kommt es, dass Adler und Schlange ihre Wege finden und die Seeleute und Mann und Frau ebenso? Staunen ist angesagt, dass Menschen und Tiere sich bewegen, dass sie suchen, jedes einen eigenen Weg, und vor allem, daß sie finden, dass sie ankommen. Was passiert da, wo Freiheit, Notwendigkeit und Zufall zusammenspielen? Alles, könnte man antworten. Für die Bibel ist Weg ein Bild für das Leben. Leben ist nicht statisch, nicht stehen oder hocken bleiben, sondern in Bewegung sein. Auf einem Weg, der nicht im Kreis herum führt, sondern nach vorne geht. Die Menschen der Bibel haben sich nach und nach vom Kreislaufdenken ihrer orientalischen Nachbarn abgesetzt und begonnen, die Zeit linear zu verstehen. Es kehrt nicht alles immer wieder, sondern es gibt einen Anfang, und es geschieht immer wieder Neues. So denken viele der biblischen Autoren, und sie erzählen deshalb die Geschichten von der Erschaffung der Welt durch Gott, sie erzählen von Abraham, der auf Gottes Geheiß seine Heimat verlässt, um woanders ein neues Volk zu begründen. Und sie erzählen sehr breit, wie das Volk Israel 40 Jahre in der Wüste unterwegs ist, geführt von Gott: „Der Herr zog vor ihnen her", heißt es, „bei Tag in einer Wolkensäule, um ihnen den Weg zu zeigen, bei Nacht in einer Feuersäule, um ihnen zu leuchten. So konnten sie Tag und Nacht unterwegs sein" (Exodus13,21). Trotzdem: Immer wieder verlässt die Menschen der Mut, sie wollen zurück, dahin, wo sie zwar unfrei waren, aber halbwegs sicher, und wo sie zu essen hatten. Zu den Fleischtöpfen Ägyptens wollen sie zurück, wieder sesshaft sein, anstatt in der Wüste unterwegs mit ihrem Gott zu verhungern. Auf dem Weg sein macht Angst. Aber sie spüren auch immer wieder Gottes Treue. Beides ist da: die Angst und die Zuversicht, mit Gott unterwegs zu sein.
Ich wünsche Ihnen einen guten Weg, auf dem die Zuversicht nie aufhört.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=10704
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