SWR3 Gedanken
Es gibt Kunstwerke, die schocken. Bei der Kreuzigungsszene Jesu zum Beispiel. Da erwarte ich ein Kreuz, daran Jesus und darunter Maria und Johannes. Aber bestimmt nicht zwei Milchflaschen.
Genau die sehe ich bei der „Kreuzigung" von Joseph Beuys. Ein verrottetes Holzstück stellt das Kreuz dar. Daran klebt ganz oben ein bedruckter Zettel. Die Begriffe Saldo und Schuld sind mühsam zu erkennen. - vielleicht ein Schuldsein? Außerdem ist auf den Zettel ein dickes rotes Kreuz gemalt. Das Kreuz Jesu? Oder das „Deutsche Rote Kreuz" das bei Gewalttaten helfen will, aber ohnmächtig bleibt? Das bleibt offen. Unter dem Kreuz dann das, was mich am meisten irritiert: zwei leere Milchflaschen auf zwei gipsverschmierten Holzscheiten. Maria und Johannes. Diejenigen, die Jesus ernährt haben? Oder diejenigen, die jetzt völlig leer sind, verloren, am Ende. Mit einem Nagel ist am Kreuz ein Elektrokabel befestigt. Wurde Jesus mit Stromschlägen gefoltert? Oder ist es eine Anspielung, dass Jesus heute noch überall auf der Welt gefoltert wird. Wie viele Menschenrechtsverletzungen prangert amnesty international jedes Jahr an?
Beim Bild einer Kreuzigung schaue ich normalerweise hin und wieder weg, denke, „kenne ich", schnell ist das Kunstwerk vergessen. Aber hier bleiben meine Augen nachdenklich hängen. Beuys hat recht mit seiner schockierenden Darstellung. Jesus wollte uns etwas mitteilen. Es ging ihm um Menschlichkeit und Gerechtigkeit. Das darf nicht vergessen werden.